Rezension von Laura Mogl
Sie haben nur 24 Stunden, um ihren Freund aus den Fängen des berüchtigten Bandenchefs Danny Hunter zu befreien – sonst stirbt er! Während der Rettungsmission decken der 13-jährige Ollie Turner und das Ermittlungsteam der geheimen Londoner Untergrundorganisation The Haven jedoch eine noch viel größere Verschwörung auf: Ganz London soll vernichtet werden! Gelingt es den Jugendlichen diese Katastrophe abzuwenden und ihren Freund zu retten? Die Zeit rennt!
Der rasante Auftakt einer spannenden Actionreihe.
Buchtitel | The Haven. Im Untergrund |
Autor | Simon Lelic |
Genre | Krimi & Thrill Abenteuer |
Lesealter | 12+ |
Umfang | 298 |
Verlag | Loewe |
ISBN | 978-3-7432-0550-5 |
Preis | 9,95 |
Das Leben des 13-jährigen Ollie Turner ändert sich schlagartig, als seine Ziehmutter Nancy – eine Polizistin – getötet wird. Auch Ollie ist in Gefahr, doch mithilfe des vermeintlich zufällig anwesenden Jungen Dodge kann er den Angreifern gerade noch entkommen.
Dodge ist der Anführer der Untergrundorganisation The Haven, einer Auffangstation bzw. ein Zufluchtsort für Kinder und Jugendliche, die unabhängig von ihrem sozialen Status im Leben Hilfe benötigen.
Doch auch hier überschlagen sich die Ereignisse: Innerhalb von 24 Stunden muss Ollie gemeinsam mit dem Ermittlungsteam des Haven den entführten Sohn eines berüchtigten Bandenführers finden, oder einer der ihren muss sterben. Während der Aufklärung dieses Falls geraten die Jugendlichen jedoch in ein viel größeres Abenteuer: Die verrückte Maddy Sikes plant, mit einem Bombenattentat ganz London zu vernichten. Gelingt es dem Ermittlungsteam, die Katastrophe abzuwenden?
Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.
Spannung pur – so kann dieser Actionkrimiroman am besten beschrieben werden. Er ist so mitreißend verfasst, dass die Leser*innen gleich zu Beginn von der Handlung gepackt und Teil des turbulenten Abenteuers von Ollie Turner werden. Fans von Spionage- oder Geheimdienstromanen kommen hier voll auf ihre Kosten. Stets spielen spannende Technikzubehöre (wie beispielsweise verborgene, geheime Türen, die sich durch Gesichtserkennung oder Fingerabdrücken öffnen, oder Ringe, die Elektrostöße von sich geben können) eine zentrale Rolle. Das Cover greift diese Thematik ebenfalls auf, indem es die Silhoutten dreier Jugendlicher im auffälligen Havensymbol in Form eines roten Dreiecks auf schwarzem Hintergrund präsentiert. Die rote Farbe verläuft an den Rändern wie Blut, wodurch bereits auf die gefährlichen Situationen im Buch verwiesen wird. Daneben ziehen vor allem Themen wie „Bandenkriege“ die Aufmerksamkeit der Jugendlichen auf sich.
Die Spannung setzt gleich zu Beginn ein: Ollie muss fliehen, um sein Leben zu retten. Im weiteren Verlauf finden sich zahlreiche Verfolgungen, die die Leser*innen mitzittern lassen. Der Spannungsbogen hält sich konstant, die rasante Handlung bietet keinen Moment zum „Durchschnaufen“ – ein spannendes Erlebnis jagt das nächste, wodurch die Leser*innen mit dem Protagonisten stets mitfiebern.
Der Roman bietet zahlreiche Identifikationsmöglichkeiten für Jungen und Mädchen. Ollie, der sich zu Beginn des Romans als normaler Junge mit normalen Problemen beschreiben würde, entfaltet im Laufe des Abenteuers seine Stärken: Er ist mutig und setzt sich für seine neuen Freunde ein, um The Haven und ganz London zu retten. Trotzdem gelingt es ihm, während der Handlung nicht „abzuheben“, er bleibt stets bescheiden. Besonders gelungen ist, dass der Protagonist nicht nur als mutig beschrieben wird, sondern auch seine Gefühle zeigen kann, sobald er mit Erinnerungen an seine Eltern oder seine Ziehmutter Nancy konfrontiert wird.
Doch nicht nur im Protagonisten Ollie können sich einige wiederfinden, vor allem der Teamgeist des Haven – der Gedanke, Teil einer Gruppe zu sein, deren Mitglieder sich gegenseitig und anderen bedingungslos helfen; Freunde, die sich auf einander verlassen können – kann eine starke Faszination auf die Leser*innen ausüben.
Mit den weiteren Protagonisten sind zahlreiche unterschiedliche Charaktere vertreten, wodurch sowohl Jungen als auch Mädchen Identifikationsmöglichkeiten vorfinden. Auch der inklusive Gedanke findet hier Anklang – Jack, die Technikexpertin, sitzt im Rollstuhl. Schön ist zudem, dass typischen Geschlechterrollenklischees Einhalt geboten wird. Obwohl Jack ein Mädchen ist, ist sie der führende Kopf für die technische Ausstattung des Ermittlerteams.
Besonders reizvoll ist weiterhin die Beschreibung der „idealen Schule“, die im Haven von den Jugendlichen organisiert wird: „Es war, als hätte jemand eine Schule entworfen, die zuallererst an die Kinder denkt. Keine Lehrer, keine Chefs, keine Politik. Kinder.“ (S. 102) Die Jugendlichen im Haven errichten sich damit einen an einer Utopie orientierten „Hafen“, der ihnen alles bietet, was sie benötigen. Sie unterrichten sich gegenseitig, helfen einander und profitieren so alle voneinander.
Daneben tritt ein Bezug zur Geschichte Großbritanniens auf (vgl. S. 111): The Haven entstand während des zweiten Weltkrieges, als die Kinder Londons aufs Land evakuiert werden sollten, um vor den Bombenangriffen geschützt zu werden. Diese Evakuierung schloss jedoch – dem Roman folgend – nicht alle Schutzsuchenden mit ein, weshalb die Untergrundorganisation The Haven gegründet wurde. Der Gedanke, Kinder und Jugendliche – unabhängig von ihrer Abstammung – in Not zu retten und ihnen ein Zuhause und eine Ausbildung zu bieten, hält sich bis heute.
Des Weiteren finden sich zahlreiche intertextuelle Bezüge, die man überlesen, jedoch auch gedanklich weiter ausbauen kann. So wird des Öfteren beispielsweise J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe angesprochen, wenn z.B. Maddy Sikes‘ Höllenhund mit einem Warg (riesengroßer Wolf) verglichen wird (vgl. S. 176).
Obwohl das Buch mit seinen 298 Seiten einen gewissen Umfang mit sich bringt, sind die Kapitel überwiegend kurz. Auch die Schriftgröße ist eher größer angesetzt, was den Lesefluss durchaus erleichtert. Die sprachliche Gestaltung bietet gelungene Aspekte: Vorwiegend weniger komplex gehalten (viele Parataxen, einfachere Satzstrukturen in Hypotaxen) hemmt sie den Lesefluss nicht. Auch sprachliche Bilder können entdeckt werden, jedoch sind diese gleichfalls nicht zu komplex aufgebaut und erschließen sich aus dem Kontext. So wird z.B. davon gesprochen, „ein Bad in der Themse zu nehmen“ (S. 59), um auszudrücken, dass eine Leiche im Fluss entsorgt wird.
Alles in allem bildet das Buch den gelungenen, rasanten Auftakt einer spannenden Reihe, die die Leser*innen nicht so schnell vergessen werden. Begeisterte Fans dürfen sich freuen: Band 2 erscheint bereits im Sommer 2020.
Der Roman zieht aufgrund des schon zu Beginn einsetzenden Spannungsbogens die Leser*innen schnell in seinen Bann, weshalb er sich hauptsächlich zur Privatlektüre eignet. Dem spannenden Handlungsverlauf gelingt es, auch Lesemuffel zum Lesen zu motivieren. Einzug kann der Roman in diesem Rahmen in Bücherkisten sowie Klassen- oder Schulbibliotheken finden, um ihn dabei in Viellese-Verfahren zu berücksichtigen.
Doch auch im Unterricht liefert das Buch vielfältige Anknüpfungspunkte: Auf den ersten Blick bietet sich vor allem eine Verknüpfung mit dem Lernbereich Sprechen und Zuhören an. Die Schüler*innen diskutieren über die prekäre Situation des Haven: Da weniger Geld zur Verfügung steht, können sie nicht mehr so viele Jugendliche wie bisher aufnehmen (vgl. z.B. S. 117). Gemeinsam können die Lernenden die Frage diskutieren, wie sie in dieser Situation verfahren würden.
Doch auch hinsichtlich des literarischen Lernens bieten sich einige Gelegenheiten, wie beispielsweise die Thematisierung des Aspekts „Perspektiven literarischer Figuren nachvollziehen“. In diesem Zusammenhang kann z.B. die Figur Dodge kritisch begutachtet werden: Ist er wirklich ein Verräter? Können die Lernenden seine Vorgehensweise nachvollziehen? Wie weit geht man, um das zu retten, das man liebt/ woran man glaubt?