Buchcover Marie Golien: Cainstorm Island – Der Gejagte

Emilio lebt in einer ungerechten Welt. Während auf dem Kontinent Asaria Fortschritt und dekadenter...

Rezension von Eva Maus

Die Welt besteht aus zwei Teilen – Asaria voller pervertiertem Luxus und das arme Cainstorm Island – und Emilio lebt in der falschen Hälfte. Seine einzige Chance: Ein Chip in seinem Gehirn, der den voyeuristischen Asarianern einen Livestream seiner Stunts, des Mülls und der Kriminalität seiner Heimat vorführt. Dann tötet er aus Notwehr einen Gang-Anführer und wird damit zum gejagten Todfeind der Gang, zum Medienstar und zum Spielball der Firma Eyevision. Eine bedrückend realistische Dystopie und zugleich ein rasantes Abenteuer voller atemloser Spannung. Blockbuster-reif!

BuchtitelCainstorm Island – Der Gejagte
AutorMarie Golien
GenreScience Fiction
Lesealter14+
Umfang336
Edition1. Auflage
Verlagdtv
ISBN978-3423762427
Preis17,95

Emilio lebt in einer ungerechten Welt. Während auf dem Kontinent Asaria Fortschritt und dekadenter Luxus das Leben bestimmen, müssen sich die Menschen im überfüllten Cainstorm Island mit herumliegendem Müll, Armut und Kriminalität auseinandersetzen. Der reiche Kontinent beutet den Armen aus und schottet sich gleichzeitig sorgsam von ihm ab. 

Um seiner Mutter und seinem Stiefvater aus einer finanziellen Notlage zu helfen, lässt sich Emilio dazu überreden, einen Eyevision-Chip in sein Gehirn einpflanzen zu lassen und jeden Tag eine halbe Stunde durch seine Augen zu filmen, was die Asarianer sehen möchten: gefährliche Stunts gepaart mit Cainstorms Armut und Kriminalität. Aber als Emilio aus Notwehr den Anführer einer mächtigen Gang tötet, während er auf Sendung ist, überschlagen sich die Ereignisse. Er wird zum Gejagten der Gang, zum Star mit Millionen Zuschauern und zum Spielball der Firma Eyevision, die die Ereignisse möglichst medienwirksam ausschlachten will – ohne Rücksicht auf Emilios Sicherheit. Um zu überleben, muss er seinen Chip loswerden, weil die übertragenen Daten seinen Verfolgern immer wieder verraten, wo er ist und was er tut. Zudem muss er seine Familie vor der Rache der Gang schützen und schließlich ist da noch die geheimnisvolle und schöne Lyssa, die mit allem irgendwie zu tun hat und die Emilio unbedingt wiedersehen will.

Eine Leseprobe kann auf der Verlagsseite eingesehen werden. 

Der erste Band von "Cainstorm Island" bietet, was man von einer guten Dystopie erwartet: Eine von Beginn an absolut spannende Handlung  ohne größere Längen und eine geschilderte Welt, die neugierig macht – verbunden mit einer intelligenten gesellschaftskritischen Zukunftsvision.

Zudem kann man sich mit ihrem Protagonisten Emilio schnell identifizieren: Er ist taff, mutig, bewegt sich virtuos durch die Slums seiner Heimatstadt Milescaleras und fühlt sich verantwortlich für das Wohlergehen seiner Familie und seiner Freunde. Die Entscheidung für die Einpflanzung des Chips und die anschließende Arbeit für Eyevision trifft Emilio nicht leichtfertig und so sehr er sie bereut, so sehr kann man seine Beweggründe verstehen – vor allem, da er die Endgültigkeit des Implantats erst erkennt, als es bereits zu spät ist.  Nachdem er den Anführer der brutalen Gang Las Culebras – die Schlangen – getötet hat, muss er seine Eignung als Held beweisen, was ihm nicht ohne Fehler, aber letztlich doch bewundernswert erfolgreich gelingt. Die Liebesgeschichte nimmt wenig Raum ein und ist erfrischend wenig klischeehaft. Überhaupt verzichtet Marie Golien angenehm auf eine (geschlechter-)stereotype Figurenzeichnung.

Aufgegriffene Themen, mit denen sich der Leser während und nach der Lektüre auseinandersetzen kann, sind aktuell, relevant und zahlreich: Es geht um die Macht und die Gefahren sozialer Medien, um eine eskalierte soziale Ungleichheit und die Abgrenzung und Ausbeutung der Armen durch die Reichen. In Cainstorm Island lassen sich die Folgen von Armut, Umweltverschmutzung und die weitgehende Abwesenheit von staatlicher Gewalt beobachten. In Asaria führt hingegen die Optimierung der Gesellschaft zur Ausgrenzung aller, die ‚anders‘ sind, und zu unnachgiebigem Leistungsdruck. Obwohl die dargestellten Entwicklungen bedrückend realistisch wirken und drastisch dargestellt werden, verzichtet das Buch auf jegliche Kommentierung und jede Form von pädagogischem Zeigefinger. Vor allem Jugendliche, die ein feines Gespür für pädagogisch Gewolltes haben, werden die Chance zu schätzen wissen, sich selbstständig mit den implizit aufgeworfenen Fragen befassen zu können.  Der Cliffhanger sorgt für Spannung über das Ende des Bandes hinaus.

Fazit: Wer Dystopien mag, actionlastige Spannung liebt oder einfach Spaß an intelligenter Unterhaltung und Anregungen zum Nachdenken hat, der macht mit der Lektüre von Cainstorm Island – Der Gejagte nichts falsch …so lange er bereit ist, sich der dort gezeichneten düsteren und zugleich realistisch wirkenden Version der Zukunft zu stellen.

Der Einsatz von "Cainstorm Island" zur Leseförderung bietet gleich zwei Vorteile: Zum einen weist das Buch ein durchgängig hohes Spannungslevel auf und knüpft sowohl mit seiner Handlung als auch dem Stil an filmisches Erzählen an. Das kann sogar die Lesemotivation von Lesemuffeln steigern. Ist der Leser ersteinmal in Emilios Welt gefangen, wird er auch die Folgebände nicht verpassen wollen. 

Zum anderen kratzt es an einer Fülle von sozialen, ökonomischen und ökologischen Themen, für die die Lektüre sensibilisieren kann. Dies bietet Anknüpfungspunkte für Gespräche (oder Unterricht) zu Fragen rund um soziale Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Ausbeutung, die Verantwortung sozialer Netzwerke, Medientrends, Flüchtlingsbewegungen, aktuelle Wirtschaftsmechnismen usw.

Dabei muss allerdings beachtet werden, dass diese Themen völlig unkommentiert bleiben und nur durch die geschilderten Lebensumstände und Geschehnisse aufgeworfen werden. Auch die drastische Schilderung von Gewalt und Bedrohung in einer realistisch wirkenden Dystopie setzt eine gewisse Reife und Widerstandsfähigkeit des Lesers voraus. 

Für eine private Lektüre – ggf. mit der Möglichkeit zu einer anschließenden gemeinsamen Reflexion des Gelesenen – und für freie Leseformate in der Schule ist das Buch jedoch sehr geeignet, sofern die potentiellen Leser eben diese Reife aufweisen. Dann ist unter Umständen auch das Lesen als Klassenlektüre möglich.

Zu Cainstorm Island hat dtv unter www.dtv.de/special/cainstorm-island/c-1952 einen Trailer und eine 360°-Ansicht von Emilios Heimatstadt gestaltet.