Rezension von Kristina Schmitt
Ebo ist auf der Flucht. Gemeinsam mit seinem Bruder kämpft er gegen die Gefahren des erbarmungslosen Weges von Afrika nach Europa – mit 100 anderen auf einem Laster durch die Wüste, mit einem Schlauchboot auf offener See – getrieben von Angst und Hoffnung auf ein besseres Leben. Eine mitreißend-spannende Geschichte in einer packenden Graphic Novel mit ausdrucksstarken Illustrationen.
Buchtitel | Illegal - Die Geschichte einer Flucht |
Autor | Eoin Colfer & Andrew Donkin (mit Illustrationen von Giovanni Rigano, übersetzt von Ulrich Pröfrock) |
Genre | Comic & Graphic Novel |
Lesealter | 12+ |
Umfang | 144 |
Edition | 1. Auflage |
Verlag | rowohlt rotfuchs |
ISBN | 978 3 499 21806 4 |
Preis | 16,99 |
Erscheinungsjahr | 2018 |
Ebo ist ganz alleine. Sein Bruder ist ohne ihn abgehauen, seine Schwester schon vor Monaten verschwunden, seine Eltern längst verstorben, das Leben in seinem kleinen Dorf in Afrika ein täglicher Kampf ums Überleben.
Der Zwölfjährige folgt seinen Geschwistern auf die gefährliche Reise nach Europa. Unterwegs findet er seinen Bruder und gemeinsam kämpfen sie gegen die Gefahren des erbarmungslosen Weges. Je weiter sie kommen, desto grausamer werden die Bedingungen. Die Brüder reisen mit 100 anderen auf einem klapprigen Transporter durch die Wüste Sahara, schlagen sich ohne Geld durch die Straßen von Tripolis, übernachten zwischen wilden Ratten in Kanälen und arbeiten jeden Tag unter der brütenden Sonne, bis sie endlich das Geld für die Fahrt über das Mittelmeer beisammen haben.
Voller Hoffnung begeben sie sich auf ein völlig überlastetes Schlauchboot, das die langersehnte Überfahrt nach Europa ermöglichen soll. Doch auf der Fahrt werden Benzin und Nahrung immer knapper und das Boot ist den unberechenbaren Kräften des endlosen Meeres ausgesetzt…
Trotz all der Widrigkeiten geben die Jungen nicht auf, denn je näher sie kommen, desto mehr wächst die Hoffnung auf ein besseres Leben und die Wiedervereinigung der Familie.
Eine Leseprobe kann auf der Verlagsseite eingesehen werden.
In der Graphic Novel Illegal nimmt uns der Junge Ebo mit auf seine Reise von Afrika nach Europa, getrieben von den ambivalenten Gefühlen der Angst und der Hoffnung. Erzählt werden die verschiedenen Etappen des Fluchtweges in Retrospektiven. Ausgangspunkt ist die lebensgefährliche Situation der Mittelmeer-Überquerung: Ebo und sein Bruder treiben mit 12 anderen Passagieren auf einem viel zu kleinen Schlauchboot auf offener See. Die Rückblicke zeigen die vergangenen Schritte der bisherigen Reise auf und lassen den Leser die Motivation der Flucht und die bereits überstandenen Qualen miterleben und -fühlen.
Durch die Perspektivenwechsel, die sehr leicht nachzuvollziehen sind, wird die Spannung über die komplette Lektüre hinweg gesteigert. Unerwartete Wendungen und neue Schicksalsschläge lassen Ebo und mit ihm den Leser immer wieder Höhen und Tiefen erleben. Der tragische Höhepunkt – das Sinken des Schlauchboots und die dramatische Seenotrettung – wird in der hoffnungsvollen Ankunft in Italien aufgelöst. Trotz des optimistischen Endes bleibt ein beklemmendes Gefühl von Verlust und Grausamkeit um die vielen Mitreisenden, darunter Ebos Bruder, die es nicht nach Europa geschafft haben.
Die fiktive Geschichte, inspiriert von vielen wahren Erzählungen, stellt die brutalen Erfahrungen vieler Geflüchteter ungeschönt dar und steht somit beispielhaft für die Schicksale unzähliger Menschen. Die Graphic Novel gibt auf diese Weise den unzähligen anonymen Toten, die in der Wüste verdursten oder im Meer ertrinken, ein Gesicht.
Die eindrucksvollen Illustrationen ermöglichen das intensive Miterleben und Eintauchen in die Geschichte. So tragen die mitreißenden Zeichnungen die Emotionen der Figuren in den differenziert dargestellten Gesichtsausdrücken an die Leser heran und übermitteln die Stimmung im Spiel der Farben: Die dunklen Blau-Schwarz-Töne spiegeln die Kälte und Bedrohlichkeit auf offenem Meer wieder, die hellen Grau-Ocker-Töne die staubige trockene Hitze der Sahara Wüste.
Unterstützt durch die ausdrucksstarken Illustrationen bietet die Graphic Novel vor allem durch die tiefgreifende Entwicklung des sympathischen Protagonisten Ebo ein hohes Identifikationspotenzial. Aus Ich-Perspektive lassen die Autoren den Leser immer wieder in die Innenwelt Ebos blicken und dessen Innenleben authentisch nachvollziehen. Authentizität und Identifikation werden vor allem gestützt durch die ausdifferenzierte Gestaltung seines Charakters. So stehen im Laufe der Erzählung nicht nur die Ängste, Schwächen und Nöte Ebos im Fokus, sondern auch sein Mut, seine Träume, Stärken und Gedanken, wie sie jeder 12-jähringe Junge über alle Kulturen hinweg haben könnte. Ebos Leidenschaft für Musik und das Singen zum Beispiel, immer wieder aufgegriffen als Symbol der Hoffnung, beeinflusst die Geschichte in verschiedenen Situationen und spiegelt das gute Herz, die große Hilfsbereitschaft und Solidarität des Jungen wieder.
Alles in allem ist die Graphic Novel eine sehr gute und schnelle Lektüre, die leicht und anschaulich zu lesen ist und einfach in eine wichtige aktuelle Thematik einführt, dabei aber auch zum weiteren Nachdenken und Diskutieren anregen kann.
Die Graphic Novel Illegal eignet sich besonders durch den gelungenen Text-Bild-Verbund sehr gut zur Leseförderung und spricht auch Wenigleser an.
Dabei ist Illegal sowohl als Privatlektüre als auch als Lektüre in der Schule, in freien Lesezeiten oder als gemeinsame Klassenlektüre zu empfehlen. Obwohl die Geschichte allgemein für ein breites Publikum geeignet ist, sollte bei der Wahl dieser Graphic Novel als Schullektüre bedacht werden, ob die Thematik und die dargestellte Dramatik und Brutalität dem Klassen-Setting angemessen ist (negative Vorerfahrungen bei SchülerInnen mit Fluchthintergründen, Todesfällen in der Familie etc. sind ggf. zu berücksichtigen).
Besonders für Unterrichtseinheiten und Projekte zum Thema „Flucht und Migration“ ist die Graphic Novel ein großartiges Medium, das einen spannenden und mitreißenden Zugang zu der Problematik bietet und alle Kinder und Jugendlichen ansprechen könnte.
Auch das Potenzial der Graphic Novel für kreative Zugänge und Verfahren mit Literatur lässt viele Möglichkeiten der Auseinandersetzung im schulischen Kontext zu.
Auch in Verbindung mit dem Unterrichtsfach Kunst bietet sich dem Genre entsprechend eine vertiefende Erarbeitung an, Zusammenhänge und Wechselbeziehungen von Wort und Bild genauer zu betrachten und zu analysieren.