Buchcover Lea-Lina Oppermann: Was wir dachten, was wir taten

Während einer Mathematikklausur wird in einem Gymnasium ein Amokalarm ausgelöst. Eine...

Rezension von Ines Heiser

Amokalarm. Eine bewaffnete Person dringt in ein Klassenzimmer ein und diktiert eine grausame Aufgabe nach der anderen: Sorgsam gehütete Geheimnisse werden gelüftet, Grenzen überschritten und Abgründe tun sich auf. Gibt es für die Klasse und ihren Lehrer einen Ausweg?
Ein psychologisches Kammerspiel aus drei Perspektiven, das von der ersten bis zur letzten Seite in seinen Bann zieht.

BuchtitelWas wir dachten, was wir taten
AutorLea-Lina Oppermann
GenreKrimi & Thrill
Lesealter14+
Umfang179
VerlagBeltz & Gelberg
ISBN978-3-407-82298-7
Preis12,95
Erscheinungsjahr2017

Während einer Mathematikklausur wird in einem Gymnasium ein Amokalarm ausgelöst. Eine vierzehnköpfige Schulklasse schließt sich gemeinsam mit dem Lehrer, Herrn Filler, zunächst im Klassenraum ein. Dem vermummten Attentäter gelingt es aber mit einem Trick, den Raum, den er offensichtlich gezielt ausgesucht hat, zu betreten. Er verbarrikadiert den Weg nach draußen und beginnt ein perfides Spiel, bei dem zehn „letzte Wünsche“ zu erfüllen sind. Diese Wünsche erfährt die Klasse ausschließlich schriftlich, aus ihnen geht hervor, dass der Attentäter mit dem Sozialgefüge innerhalb der Gruppe bestens vertraut ist und alle dunklen Geheimnisse der Schüler, aber auch des Lehrers kennt. Die Wünsche zielen darauf ab, alle Beteiligten jeweils an ihrem sensibelsten Punkt zu verletzen und Abhängigkeiten und Feindschaften offen zu legen. Die Brutalität der geforderten Handlungen steigert sich immer mehr, bis schließlich der Mord an einem der Mitschüler verlangt wird. Dieser letzte geforderte Tabubruch führt zunächst zu einer Schlägerei, bei dem ein Schüler versucht, den Angreifer zu überwältigen. Unvermittelt fragt eine der Schülerinnen den Attentäter nach dem Grund der Maskierung, daraufhin gibt dieser die Verkleidung auf: Es handelt sich um eine ehemalige Mitschülerin, Beckie, die umgehend Suizid begeht. Einen Teil der Gründe dafür erklärt sie in einem Abschiedsbrief, den sie bei sich trägt und den Herr Filler verliest, kurz bevor die Klasse evakuiert wird.

Eine Leseprobe kann auf der Verlagsseite eingesehen werden.

Der Roman ist auch für schwache Leser ausgesprochen leicht zugänglich aufgebaut. Das hängt zum einen mit dem an sich geringen Umfang zusammen, zusätzlich aber ist die Erzählung in sehr kurze Abschnitte geteilt (maximal zwei Seiten, meist kürzer), die das Geschehen chronologisch aus der Rückschau jeweils aus der Perspektive einer der drei Hauptfiguren erzählen. 
Die Protagonisten sind ebenfalls gut gewählt, um das Geschehen differenziert zu beleuchten: Der ehrgeizige Lehrer Herr Filler bietet äußere Hintergrundinformationen zur Klasse, ohne jedoch mit dem Innenleben der Schüler, für die er sich nicht wirklich interessiert, vertraut zu sein. Mark tritt als charakterstarker Außenseiter auf, der viele Zusammenhänge aus dem Zusammenleben der Klasse kennt, aber weder praktisch noch emotional besonders in diese involviert ist. Fiona schließlich ist fleißig, angepasst und sehr darauf bedacht, moralisch richtig zu handeln. In die Klassengemeinschaft ist sie eher am Rande integriert, sie weiß aber über das Verhalten der Anführerclique um Sylvester sehr genau Bescheid.

Die große Stärke des Romans liegt darin, dass er ausgesprochen spannend erzählt ist. Während zuerst offen ist, ob bzw. wie die Klasse von der Amokdrohung betroffen sein wird, wird relativ schnell klar, dass es der Attentäter speziell auf diese Lerngruppe abgesehen hat. Durch die genau auf die Schwächen der einzelnen Klassemmitglieder zugeschnittenen Aufgaben kristallisiert sich immer stärker die Frage heraus, woher der Täter diese Informationen bezieht und was er mit seinem Verhalten bezweckt. Ein zusätzlicher Spannungsfaktor besteht darin, dass die Aufgaben jeweils Provokationen bzw. Verstöße gegen Tabus beinhalten. Dies liegt bei einigen der Tests offen auf der Hand – etwa dann, wenn der Lehrer einer Schülerin ins Gesicht spucken soll. Andere Aufgaben scheinen zunächst harmlos, beispielsweise wenn Jill dazu aufgefordert wird, einen Burger zu essen; die relevante Problematik ergibt sich dann erst im zweiten Schritt – in diesem Fall liegt sie darin, dass Jill an Magersucht leidet. Der Leser fiebert aber in beiden Fällen mit und will entweder erfahren, ob der geforderte Tabubruch tatsächlich vollzogen wird oder worin die Dramatik der Aufgabe besteht.

Diese Spannung wird fast durchgehend durchgehalten, nur das Ende ist etwas zu schablonenhaft und enttäuscht gerade Leser, die hohe Ansprüche an Plausibilität und durchgängig überzeugende  Figurenzeichnung legen. Jugendlichen (Wenig)lesern dürfte dies jedoch nicht nachdrücklich den Lesegenuss verderben, da der spannungsgeladene Roman so mitreißend erzählt wird, dass Konstruktionsschwächen wenig auffallen.  

„Was wir dachten, was wir taten“ ist hauptsächlich als Privatlektüre zur spannenden Unterhaltung zu empfehlen: Wie oben dargestellt, ist der Roman auch von schwächeren Lesern gut zu bewältigen und der schmale Umfang ermöglicht ein schnelles Erfolgserlebnis. Positiv für ungeübte Leser ist zudem, dass durch den Charakter des Kammerspiels eine Orientierung in verschiedenen Räumen nicht notwendig ist und der Leser somit immer weiß, wo sich das Geschehen abspielt. Auch die allen Schülern vertraute Grundsituation einer problematischen Gruppendynamik innerhalb einer Klassengemeinschaft vergrößert die Zugänglichkeit.

Inhaltlich spricht der Roman sicherlich in erster Linie Krimi- und Thriller-Fans an. Durch das Schulsetting ist die Lektüre aber auch von allgemeinem Interesse für alle Leser der angegebenen Altersstufe, zumal die Amoklauf-Thematik für sie direkt relevant ist.
Als fesselnde Spannungslektüre passt „Was wir dachten, was wir taten“ auch gut in die entsprechenden Rubriken von (Schul-)Bibliotheken.

Der Beltz-Verlag bietet zu „Was wir dachten, was wir taten“ wohl aufgrund der aktuellen Thematik Unterrichtsmaterialien an, tatsächlich lohnend ist der Roman allerdings nur bei der erstmaligen Lektüre, da sich nur sehr vereinzelt Ansatzpunkte für tiefergehende Analysen bieten. Für den Unterricht denkbar ist daher in erster Linie die Verwendung bei Buchpräsentationen,  Vielleseverfahren oder der Einsatz bei einem Leseprojekt, etwa zum Thema Amoklauf:  Hier kann der Roman als Differenzierungsmöglichkeit für Schüler mit niedrigem Leseniveau angeboten werden.