Buchcover Uwe Timm: Die Piratenamsel

„Nein, ich bin keine Krähe. Ich bin ein Beo und heiße Padde.“ Beos sehen nämlich ganz ähnlich aus...

Rezension von Theresa Breuer

„Da zog – Rrrummsch – jemand einen Stock heraus und das Netz fiel auf mich und all die anderen Vögel. Einen Moment saßen wir vor Schreck ganz starr.“ So wird der neugierige Beo Padde im indischen Urwald gefangen genommen, um später in Deutschland in einer Zoohandlung verkauft zu werden. Doch es kommt ganz anders. Der junge Vogel besitzt nämlich ein besonderes Talent, welches er bei seinen Abenteuern im fremden Deutschland geschickt einsetzt.

 

 

 

BuchtitelDie Piratenamsel
AutorUwe Timm
GenreAbenteuer
Umfang99
Edition2014
VerlagHanser Verlag
ISBN978-3-446-24637-9
Preis9,90
Erscheinungsjahr1983

„Nein, ich bin keine Krähe. Ich bin ein Beo und heiße Padde.“ Beos sehen nämlich ganz ähnlich aus wie die in Deutschland lebenden Krähen, haben aber eine ganz besondere Fähigkeit: sie können jeden beliebigen Ton imitieren. Dieses Talent nutzt der aus dem indischen Urwald stammende junge Beo Padde bei seinen Abenteuern in Hamburg. Zum Beispiel brüllt er wie ein Tiger, um den Zoowärter zu erschrecken oder flucht wie ein waschechter Matrose um eine spießige Oma zu vergraulen. Insgesamt erlebt er eine turbulente Zeit mit seinen neuen Freunden: dem Papagei Störtebeker und dem Raben Alfred. Am Ende gelingt es Padde mit Hilfe eines guten Plans sowie der Unterstützung seiner Freunde, vor einem Tierstimmensimulator und seinem gefräßigen Kater zu fliehen.

„Und der da“, fragte sie und zeigte auf Störtebeker. „Der sieht irgendwie missmutig aus.“ „Ein Papagei“, sagte Herr Schulte. „Er ist lange Zeit zur See gefahren. Gehörte einem alten Kapitän. Das Tier kennt alle Segelkommandos. Sag mal: Alle Segel brassen.“ Störtebeker schwieg. Die Frau ging nahe an Störtebekers Käfig heran und sagte: „Hansimann, sag mal: Hansimann.“ Störtebeker krächzte wie eine Nebelkrähe: „Kraah, kraah, kraah.“ Und als die Frau wieder den Mund spitzte und sagte: „Ach, ist der lustig griesgrämig“, da kackte ihr Störtebeker weiß und flüssig aufs Kleid. „Ihhhh“, schrie die Frau. „Das ist ja ein grässliches Vieh. Und mein Kleid, mein Kleid ist ruiniert.“ „Entschuldigen Sie bitte“, sagte Herr Schulte und seine Ohren waren ganz bleich geworden, „entschuldigen Sie bitte, gnädige Frau.“ „Und jetzt“, rief die Dame verzweifelt, „was soll mit dem Kleid passieren?“ „Trocknen lassen“, sagte Herr Schulte, „einfach trocknen lassen und dann ausbürsten. Ich habe da Erfahrung.“ „Wahrschau“, sagte Störtebeker, was bei den Seeleuten Achtung" heißt. Die Frau sah mich an. „Der ist ja hässlich“, sagte sie, „eine Krähe, nicht wahr.“ „Nein“, sagte Herr Schulte, „ein Beo, ein Mittel-Beo, lateinisch: Cercula religiosa intermedia. Die Beos sehen zwar unscheinbar aus, können aber von allen Vögeln am besten sprechen, besser als jeder Papagei.“ „Interessant“, sagte die Frau „Interessant“, sagte ich. „Ach“, lachte die Frau, „das ist ja wunderbar, hören Sie nur.“ „Ach“, sagte ich mit ihrer Stimme, „das ist wunderbar, hören Sie nur.“ Sie spitzte die Lippen und sagte: „Süüüß“ Hansimännchen, sag mal Hansimännchen.“ „Süüüß“, sagte ich, „alte Schnapsdrossel.“ „Danke“, sagte sie zu Herrn Schulte. „Ihre Vögel können Sie sich an den Hut stecken.“ Und dann rauschte sie aus dem Laden. (S. 30-32)

„Da zog – Rrrummsch – jemand einen Stock heraus und das Netz fiel auf mich und all die anderen Vögel. Einen Moment saßen wir vor Schreck ganz starr.“  – So wird der neugierige Beo Padde im indischen Urwald gefangen genommen, um später in Deutschland in einer Zoohandlung verkauft zu werden. Doch es kommt ganz anders. Der junge Vogel besitzt nämlich ein besonderes Talent, welches er bei seinen Abenteuern im fremden Deutschland geschickt einsetzt.

In dem Kinderbuch „Die Piratenamsel“ erzählt der mit dem deutschen Jugendbuchpreis („Rennschwein Rudi Rüssel“) ausgezeichnete Schriftsteller Uwe Timm eine turbulente Tiergeschichte aus der Perspektive eines jungen Beos namens Padde. Gleich zu Beginn der Geschichte wird deutlich, dass sich Beos von anderen Vögeln unterscheidet und zwar nicht nur durch ihr auf den ersten Blick langweilig aussehendes schwarzes Gefieder, sondern durch ihre außergewöhnliche Fähigkeit, jeden beliebigen Ton zu imitieren wie „das Plätschern eines Baches oder das Kecken eines Affen oder das Rauschen des Windes in den Blättern“. Dieses Talent setzt der junge Padde bei seinen Abenteuern geschickt ein, welche er aber ohne seine Freunde nicht immer alleine bewältigen kann.

Der Schauplatz der Geschichte ist anfänglich der Indische Urwald, in dem Padde mit seiner Familie lebt. Bereits im zweiten Kapitel wird der neugierige und etwas unvorsichtige Vogel von einem Vogelhändler gefangen genommen und auf einem Frachtschiff nach Hamburg gebracht. In Hamburg angekommen, wo der Großteil der Geschichte spielt, lernt der junge Beo an Orten, welche jungen Lesern bekannt sind (z.B. der Tierhandlung oder dem Zoo) Freunde aber auch schräge Persönlichkeiten kennen.

Die Handlung stellt kein typisches Abenteuer dar, sondern schildert das Bewältigen von Alltagsproblemen eines jungen Vogels, der nicht gefangen sein will, sondern in der Gesellschaft seiner Freunde frei und glücklich leben möchte. In zahlreichen Dialogen zwischen Padde und seinen Freunden werden Ängste und Unsicherheiten seitens der Tiere deutlich, die in gemeinsamen Gesprächen aufgefangen werden. Durch die sehr menschlichen Emotionen des jungen Vogels eignet sich dieser durchaus als Identifikationsfigur für Jungen.

Ohne seine Freunde, die Padde im fremden Deutschland kennenlernt, hätte er so manchen Fehler begangen oder wäre aus der einen oder anderen brenzligen Situation nicht so gut herausgekommen. Eine besonders wichtige Rolle wird dem Papagei Störtebeker zuteil, der eine Art Erwachsenenrolle einnimmt. Störtebeker taucht relativ zu Beginn der Geschichte auf und stellt die erste Figur dar, welcher Padde sein Heimweh gesteht. Dies zeigt jungen Lesern, dass man nicht immer ein Held sein kann und es stets Situationen im Leben gibt, in denen Kinder einen Erwachsenen als Ansprechpartner benötigen. Die Erkenntnis, nicht immer stark sein zu müssen, kann für Kinder als Entlastung wahrgenommen werden. Ein weiterer wichtiger Charakter ist der junge Rabe Alfred, mit dem sich Padde im Verlauf der Geschichte anfreundet. Durch die Aufstellung der ebenbürtigen Haupt- und Nebenfiguren wird die Relevanz von Zusammenarbeit sowie die Bewältigung von Konflikten im Gespräch für Kinder erkennbar.

Uwe Timm hat sich mit seinen Büchern wie „Rennschwein Rudi Rüssel“ in die Herzen der Kinder geschrieben. Auch sein Kinderbuch „Die Piratenamsel“, welches bereits 1983 erschienen und nun in einer Neuauflage mit Illustrationen von Axel Scheffler zu erwerben ist, überzeugt durch kindgerechten Humor und liebevoll beschriebene Details, welche die Fantasie von jungen Lesern anregt. Die 99 Seiten des Buches sind in 26 kurze Kapitel aufgeteilt, was zum Weiterlesen animiert, aber auch die Möglichkeit einräumt, eine Pause einzulegen. Aufgelockert wird die Geschichte durch die comicartigen Schwarz-Weiß-Zeichnungen, welche Leseanfänger die Handlung veranschaulichen und beim Vorblättern neugierig auf den weiteren Verlauf der Geschichte machen. Die Gesamthandlung der Geschichte ist sehr gut nachvollziehbar und erreicht durch Binnenerzählungen auch weitere Textebenen, was den Spannungsbogen weiter aufrechterhält. Da die Sprache und die Satzstruktur der Geschichte eher differenziert sind, ist das Buch frühestens für Schulkinder zu empfehlen. Auch das vereinzelt verwendete mundartliche „Plattdeutsch“, welches zur Authentizität der Geschichte beiträgt, könnte für jüngere Kinder eher schwer zu verstehen sein. Schwierige, Kindern vielleicht unbekannte Phraseologismen wie „seinen Garn spinnen“ werden jedoch im Verlauf der Geschichte von den Figuren im Dialog erklärt, was den Wortschatz der jungen Leser erweitert.

Fazit:
Eine mit Witz und Herz erzählte Geschichte über Schicksal, Freundschaft und Freiheit eines jungen Vogels. Mitreißend erzählt und klar zu empfehlen zum Selber- und Vorlesen für Kinder ab 6 Jahren.