Buchcover Shaun David Hutchinson: Die perfektesten 1440 Minuten meines Lebens

Der Tag beginnt für Oliver Aaron Travers wie jeder andere. Doch noch vor dem Frühstück erfährt er,...

Rezension von Meike Both

Der Tag beginnt für Oliver Aaron Travers wie jeder andere. Doch noch vor dem Frühstück erfährt er, dass er am Ende dieses Tages sterben wird. Nur wie weiß er nicht. Damit stellen sich für Oliver einige Fragen: Wie verbringt er seinen letzten Tag? Was möchte er noch erleben? Und wird er wirklich sterben, ohne jemals Sex gehabt zu haben?

BuchtitelDie perfektesten 1440 Minuten meines Lebens
AutorShaun David Hutchinson
GenreComing of Age
Lesealter12+
Umfang288 Seiten
Edition2010
VerlagSimon Pulse; Arena
ISBN978-3-401-06734-6
Preis6,99 €

Der Tag beginnt für Oliver Aaron Travers wie jeder andere. Doch noch vor dem Frühstück erfährt er, dass er am Ende dieses Tages sterben wird. Nur wie weiß er nicht. Damit stellen sich für Oliver einige Fragen: Wie verbringt er seinen letzten Tag? Was möchte er noch erleben? Und wird er wirklich sterben, ohne jemals Sex gehabt zu haben?
Da diese Fragen nicht so einfach zu beantworten sind, geht Oliver erstmal zur Schule. Sein bester Freund Shane Grimsley beschließt jedoch schnell, dass man seinen letzten Tag nicht in der Schule absitzen kann. Oliver soll etwas erleben: die perfektesten 1440 Minuten seines Lebens. Und dafür benötigen sie nur noch Ronnie, Olivers beste Freundin und zufällig auch Ex-Freundin. Denn sie hat Schluss gemacht ohne einen für ihn ersichtlichen Grund.
Gemeinsam beginnen die Drei einen Tag, den keiner von ihnen je vergessen wird. Sie werden von einer Brücke springen, klauen, kiffen, sich betrinken und ständig über Sex reden. Als Ronnie Oliver schließlich auch noch mit einem anderen Mädchen in flagranti erwischt und abhaut, merkt er, dass nicht seine Aktionen einen Tag perfekt werden lassen. Es sind die Menschen, die wichtig sind. Daher verbringt er den Rest seines letzten Tages mit seiner Familie und damit, sich bei Ronnie zu entschuldigen, sich mit ihr zu versöhnen, nur um dann wieder Abschied nehmen zu müssen.

„Viel Glück?“ Ich kriege kaum noch Luft. „Zuerst Ronnie, jetzt der Bulle. Warum wünschen mir die Leute viel Glück? Wozu brauch ich noch Glück? Oder gibt’s da noch etwas, wovon ich keine Ahnung habe?“ Ich schnappe förmlich nach Luft, jedenfalls fühlt es sich so an, als ob mir bei jedem Atemzug die Luft sofort wieder aus den Lungen gesaugt würde.
„Das ist nur so eine Redensart“, sagt Shane von weit weg. Von der anderen Seite des Planeten. Aber seine Hand liegt auf meiner Schulter. „Alles okay bei dir?“
Ich versuche, ganz besonders viel Luft zu holen, aber ich kriege grade mal einen Hauch. „Nein! Nichts ist okay bei mir! Ich sterbe! Bin schon so gut wie tot! Mein bester Freund verheimlicht mir etwas und das Mädchen, das ich liebe, hasst mich wie die Pest!“ ATMEN! Ich stecke den Kopf zwischen die Knie und versuche, mich zu beruhigen, aber das Blut rauscht durch meinen Körper wie ein Formel-Eins-Rennwagen, und auf der ganzen Welt gibt es keine rote Flagge, die ihn zum Stillstand bringen kann.
Shanes Stimme klingt wie ein Bienenschwarm. Ein Bienenschwarm unter Wasser. Nur würden Bienen unter Wasser ersaufen. Egal. Jedenfalls höre ich nur noch ein gewaltiges Summen.
Shane taucht ein und holt mich an die Wasseroberfläche. „Ich glaube, wir sollten nach Hause fahren.“
Ich schüttle stumm den Kopf.
„Wohin dann?“
„Ich muss die Sache mit Ronnie in Ordnung bringen.“
„Ollie …“
„Gib dir keine Mühe. Versuch bloß nicht, mich davon abbringen zu wollen. Hilf mir, wenigstens dieses eine Mal.“
Shane verschränkt die Arme vor der Brust und ich fange an zu glauben, dass er nicht mehr mitspielen will, dass ich es bei ihm jetzt endgültig verschissen hätte. Aber er überrascht mich. Das kommt manchmal tatsächlich vor.
„Dann musst du ihr beweisen, dass du nicht nur an Sex denkst. Du musst ihr zeigen, dass sie dir etwas bedeutet. Dass du ihr zuhören kannst.“
(S. 178ff)

Der Ich-Erzähler in seiner Welt
Oliver Aaron Travers stellt den stereotypen 15-jährigen Teenager dar. Er hat keinen Bock auf Schule und alles dreht sich um Mädchen und Sex. Als er durch einen sogenannten Todestagsbrief erfährt, dass er nur noch einen einzigen Tag zu leben hat, muss er das Erwachsenwerden abkürzen. Er muss sich innerhalb eines Tages bewusst machen, was er noch alles erleben möchte und auch, wie er von seiner Familie und seinen Freunden in Erinnerung behalten werden möchte. Er hat nicht mehr die gesamte Pubertät Zeit, um Erfahrungen zu machen, gegen seine Eltern, gesellschaftliche Normen und Erwartungen und andere Autoritäten zu rebellieren. Deshalb versuchen Shane und er diese gesamte Rebellion in einen einzigen Tag zu stecken. Ollie kifft und betrinkt sich. Er fährt Auto. Er springt von einer Brücke, versucht, einen Strip Club zu besuchen, klaut und will nicht als Jungfrau sterben. Sein bester Freund Shane spielt dabei eine wichtige Rolle. Doch er ist auch derjenige, der Ollie hilft zu verstehen, was im Leben wirklich zählt. Und dann ist da noch Ronnie. Einerseits seine beste Freundin seit Kindertagen, andererseits seine große Liebe, die ihn verlassen hat. Diese Konstellation bietet immer neues Konfliktpotential, das Ollie erst nach und nach bewusst wird und auch nur dann, wenn Ronnie oder Shane ihn direkt darauf aufmerksam machen. Bis Ronnie es nicht mehr aushält und verschwindet. Nun ist Oliver doch gezwungen, sich mit seinen Gefühlen auseinander zu setzen, sich etwas einfallen zu lassen – und zwar schnell.

Verstehen durch Erzählen
Auf die Nachricht, er müsse sterben, reagiert Oliver erstaunlich ruhig und gelassen. Er rastet nicht aus, weint nicht, ist nur genervt von den Emotionen seiner Familie und will weg in die Schule. Obwohl das Buch aus Ollies Sicht geschrieben ist, wird erstmal nicht ersichtlich, ob ihm der Todestagsbrief egal ist oder ob er die Reichweite und Bedeutung des Briefes nicht verstanden hat. Erst durch einige Ausraster und sehr empfindliche Reaktionen auf Worte seiner Freunde wird allmählich klar, dass Oliver versucht, seinen baldigen Tod zu verdrängen, um trotzdem einen schönen letzten Tag haben zu können. Trotzdem erwartet man eine nähere Auseinandersetzung mit dem Thema Tod, die anfangs nur oberflächlich erfolgt. Je weiter der Tag fortschreitet, desto häufiger wandern Ollies Gedanken und Gespräche zu seinem baldigen Ableben. Doch erst als er betrunken ist, werden die Gespräche tiefgreifender. Er beginnt, sich wirklich mit seinem Tod auseinander zu setzen und scheint fast erwachsen zu werden. Ihm wird klar, dass er seine Familie um sich haben möchte und schließlich auch, dass er sich bei Ronnie entschuldigen muss. Nun finden einige Gespräche statt, die das Thema eindringlicher behandeln und der Frage: „Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass heute dein letzter Tag ist?“ gerecht werden. Da durch die große Einsicht in Olivers Gedankenwelt Identifikation mit ihm nicht nur möglich, sondern beinahe unumgänglich ist, setzt das Thema beim Leser eine größere Reflexionsfähigkeit voraus. Im letzten Viertel des Buches gelingt es Oliver dann, sich langsam aber sicher von seinen Eltern abzunabeln und zu verabschieden. Er erlangt Einsicht in seine Beziehung zu seinem besten Freund, aber auch in seine Beziehungsproblematik. So schafft er es, sich doch noch mit Ronnie zu vertragen und mit sich selbst ins Reine zu kommen, also den Tag so abzuschließen, dass er für alle Beteiligten ein gelungener Abschied von einander ist.
Offen bleibt allein die Frage, wer die Todestagsbriefe schickt und woher diese Person das Wissen über das baldige Ableben des Betroffenen hat. Dieses Thema wird in einer ungewöhnlichen Runde mit Oliver und seinen Freunden völlig fremden Personen kurz aufgegriffen, von Oliver dann aber nicht weiter verfolgt.

Buchcharakter
Der Titel „Die perfektesten 1440 Minuten meines Lebens“ zieht sich in inkongruenter Schrift, bei der die Groß- und Kleinschreibung wahllos wechselt, über die gesamte Seite. Zwei große, bunte Blasen sind um die ersten beiden und letzten beiden Wörter gezogen, sodass der Titel an ein Graffiti erinnert. Außerdem befinden sich eine kleine Sonnenbrille und ein kleines Skateboard darauf. Der Klappentext ist kurz, aber interessant. Dadurch, dass das Ende des Buches dort bereits vorausgenommen wird, stellen sich direkt Fragen, die zum Lesen einladen und neugierig machen.
Da das Buch aus Olivers Sicht geschrieben ist, ist es sehr umgangssprachlich und für Teenager authentisch, also leicht und flüssig zu lesen. Seine Kommunikation und seine Gedanken sind so, wie man sich die Gedankenwelt eines 15-Jährigen vorstellt: sehr leger, direkt, locker, teilweise mit Beleidigungen gespickt und immer wieder vulgär und obszön. Diese Erzählweise ist jedoch sehr sympathisch und lässt es zu, sich mit Ollie zu identifizieren. Die Kapitellänge beträgt meist ungefähr zwanzig Seiten und ist damit für erfahrene Leser angemessen. Die Satzlänge variiert sehr stark.

Zusammenfassende Bewertung und Fazit

Die Schwierigkeit des Buches liegt, wie oben bereits beschrieben, in der Thematik, die für sensible Jugendliche oder solche, die im privaten Umfeld mit dem Thema Tod konfrontiert sind oder waren, sehr herausfordernd ist. Das Buch setzt einen gewissen Grad an Reflexionsbereitschaft voraus. Ist dieser gegeben, ist es ein sehr lesenswertes Buch, das zum Nachdenken anregt und die Problematik des Erwachsenwerdens, der Liebe und des Todes auf interessante, anschauliche und angemessene Weise behandelt. Durch die Eingliederung in den Alltag eines Jugendlichen ist es sehr realitätsnah, behält aber gleichzeitig durch die sogenannten Todestagsbriefe eine fiktive Ebene, die eine weitere Handlungsebene andeutet, dann aber offen lässt.

Aufgrund der sehr emotionalen Thematik eignet sich das Buch nur mit sehr enger Begleitung als Schullektüre oder Unterrichtsprojekt.