Buchcover Sugerman, Danny: Wonderland Avenue

Mitte der 50er Jahre wächst der Protagonist, Danny Sugerman, in einem zerrütteten Elternhaus in...

Rezension von Katharina Nennstiel

Mitte der 50er Jahre wächst der Protagonist, Danny Sugerman, in einem zerrütteten Elternhaus in Beverly Hills heran. Bereits in seiner Kindheit hat er einiges zu tragen: Danny bekommt den Stempel „hyperaktiv“ aufgedrückt, was immer wieder zu Problemen in der Schule führt, seine Eltern lassen sich scheiden und sein Lebensmittelpunkt verlagert sich zu seinem sadistischen Stiefvater, der Danny schlecht behandelt...

BuchtitelWonderland Avenue
AutorDanny Sugerman
GenreComing of Age
Umfang462 S. (engl.); 588 S. (dt.)
VerlagLittle Brown UK (engl.); Heyne (dt.)
ISBN978-0349101750 (engl.); 978-3453-676688 (dt.)
Preis12,89 € (engl.); 9,99 € (dt.)

Mitte der 50er Jahre wächst der Protagonist, Danny Sugerman, in einem zerrütteten Elternhaus in Beverly Hills heran. Bereits in seiner Kindheit hat er einiges zu tragen: Danny bekommt den Stempel „hyperaktiv“ aufgedrückt, was immer wieder zu Problemen in der Schule führt, seine Eltern lassen sich scheiden und sein Lebensmittelpunkt verlagert sich zu seinem sadistischen Stiefvater, der Danny schlecht behandelt. Zuflucht findet er im Sport, denn Danny ist das Baseball-Ass der Schulmannschaft. Nach einem gelungen Spiel lädt ihn sein Coach auf ein Konzert der Band „The Doors“ ein und es tritt ein Wendepunkt in Dannys Leben ein. Fasziniert von der Musik fühlt er sich immer stärker zum Rock’n’Roll-Lifestyle hingezogen und die Bekanntschaft mit Jim Morrison, dem Sänger der Band, hinterlässt ihn tief beeindruckt. Danny setzt alles daran, soviel Zeit wie möglich mit den Musikern zu verbringen, übernimmt schon bald Bürotätigkeiten für sie und verliert sich mehr und mehr in der Welt des Glamours. Jim wird zu einer Art Mentor für Danny, für den Jims Tod 1971 eine Welt zusammenbrechen lässt. Von da an stürzt Danny ab, macht die Nacht zum Tag und gerät immer tiefer in exzessive Partys und Drogenmissbrauch hinein.

Mindestens sechs Monate hatte ich absolutes Fernsehverbot und in dem Moment, wo ich mir wieder etwas ansehen durfte, entdeckte ich es. Unsere jämmerliche Pseudo-Familie hatte sich versammelt, um sich eine Show mit Red Skelton anzusehen, einem Komiker im Clownskostüm, der eine Nummer über zwei zum Überwintern nach Süden fliegende Vögel hatte – normalerweise also ziemlich harmloses Zeug. Doch an diesem besonderen Abend stellte Red Skelton, um mit Ed Sullivan zu konkurrieren, der die Beatles in Amerika bekannt gemacht hatte, eine andere britische Band vor, die Rolling Stones. Und eines können Sie mir glauben, als sie im Bild waren und sangen, spitzte ich die Ohren. Der Sänger tanze und vibrierte wie ein Motor; große Lippen, voller Selbstsicherheit, Frechheit und Arroganz. Die ganze Band wirkte dem Aussehen nach ausgesprochen ungesund, alle waren hager und langhaarig; hautenge Hosen, ärmellose Sweatshirts und italienische Stiefel. Melodik war nicht ihre Stärke, viel Lärm und wildes Getöse, ein starker Rhythmus, schmetternd, stampfend und dröhnend wie eine heiß ersehnte Stampede. Der Text ging teilweise unter, aber ich hörte genug. Es war, als hörte ich zum ersten Mal den Klang meines eigenen Herzschlags. >>Hey-hey-you-you, get off my cloud<<, sangen sie. Clarence wollte umschalten. Ich stellte mich ihm in den Weg. >>Vergiss es!<< , zischte ich. (S.49)

Der Ich-Erzähler in seiner Welt
Danny befindet sich zu Beginn des Romans voll und ganz in seiner eigenen Welt. Die familiären Auseinandersetzungen und die schulischen Probleme treiben ihn in die Arme des Rock’n’Roll. Danny sieht Jim Morrison als sein großes Vorbild an, wovon seine Solidaritäts-Bemühungen mit ihm als Person, seinen Vorstellungen und seiner Lebenseinstellung zeugen. Durch Morrison lernt Danny die maßlose, gegenwartsbetonte Lebenseinstellung der Musikerwelt kennen, die kein Risiko scheut und keine Rücksicht auf Verluste nimmt. Gleichzeitig motiviert ihn Morrison zur Bildung, führt ihn auf anderem Wege als die Lehrer in der Schule an Literatur heran und Danny gelingt so doch noch sein Schulabschluss. Seine alterstypische Normabgrenzung richtet sich gegen sein komplettes familiäres Umfeld und gegen ‚die Welt‘, welcher er entsprungen ist. Je mehr sich sein leiblicher Vater gegen die Doors und gegen ein Leben mit Rock’n’Roll ausspricht, desto größer wird die Distanz zu ihm. Seine Geschwister schlagen beide einen Weg ein, der von schulischen Bestleistungen gekrönt ist und in klassische Karriereberufe mündet. Somit wird auch die Abgrenzung zu den Wertvorstellungen seiner Geschwister größer und größer. Dannys Mutter schafft es mit einer laisse-faire-Haltung, emotionale Nähe zu ihren Sohn zu halten und zeigt sich Einverstanden mit seinem alternativer Lebensentwurf. Allerdings setzt sie ihm keinerlei Grenzen und sieht förmlich zu, wie er in sein Verderben rennt. Dannys ganzer Lebenswandel mündet in einer Verweigerungshaltung gegenüber aller Werte, Normen, Vorstellungen und Einstellungen, die sich von denen der Doors abheben. Er schafft sich eine Art Parallelwelt, in welcher er aufblüht, selbstbewusst wird und ein offenes, aktives Kommunikations-Verhalten an den Tag legt, welches sich stark von seinem passiven Verhalten in seiner familiären Umgebung unterscheidet, in welcher er versucht möglichst unsichtbar zu werden. Morrison fungiert dabei als Anker, der Danny am Boden hält und ihm hilft auf der schmalen Grenze zwischen jugendlichem Leichtsinn und Übermut bzw. Verderben zu balancieren.

Verstehen durch Erzählen
Dannys  mentale Ausgangslage zeigt, dass er trotz seiner Schulprobleme, nicht minderbegabt oder unterdurchschnittlich intelligent ist. Er fängt bereits im Alter von 12 Jahren an selbstständig über seinen Lebensweg zu entscheiden und begibt sich auf die Suche nach sich selbst. Seine Selbstwahrnehmung verbessert sich scheinbar analog zum steigenden Ruhm der Doors, je mehr sich Danny in die Welt des Rock’n’Roll begibt, desto mehr findet er über sich heraus und desto besser lernt er sich einzuschätzen. Morrisons Tod bedeutet nicht nur ein Ende der Doors, sondern auch das Ende der gelungenen Selbstwahrnehmung des Protagonisten. Danny rutscht ab und gerät in eine Heroinsucht, die er sich lange nicht eingesteht. Erst als er zu sterben droht, findet er zu seinen Wurzeln zurück, stellt den Kontakt zu seiner Familie wieder her und findet schließlich sogar Frieden mit seinem Vater. Sein erreichtes Verständnisniveau ist für sein Alter größtmöglich, da er feststellt, dass es in der Natur des Menschen liegt, Fehler zu begehen und es möglich ist, sich diese einzugestehen. „Das ist noch eines der wunderbaren Dinge an uns Menschen. Wir können uns verändern und tun das auch oft.“ (S.584) sind die abschließenden Gedankengänge von Danny in diesem Roman.

Buchcharakter
Das Cover zeigt Jim Morrison und Iggy Pop an einer Straßenecke der Wonderland Avenue, auf welcher sich ein Großteil des Romans abspielt. Die Illustration ist Comicähnlich gehalten und die bunten Farben spielen auf das schillernde Leben in Hollywood an. Die Kapitellänge ist mit durchschnittlich 40 Seiten eher lang, die Kapitel sind aber so in sich abgeschlossen, dass diese Aufteilung sinnig ist. Sugerman wählt einen Sprachstil, der den Leser förmlich in die Geschichte hineinzieht und zum Weiterlesen animiert. Die sprachliche Komplexität ist dementsprechend gering und hält den Lesefluss nicht auf. Zusammen mit Sugermans kritischer Sicht auf heikle Themen wie Drogenmissbrauch, trägt der Roman zu einer wertfreien  Verständlichkeit der Musikbranche der 1960er- 80er Jahre mit ihrem Glamour und ihren Exzessen bei.

Zusammenfassende Bewertung und Fazit:
Sugerman taucht mit dem Leser in die Vergangenheit ein und lässt sie aufleben, als wäre es die Gegenwart. Er vermittelt ganz nebenbei Ideale der damaligen Zeit, beschäftigt sich aber auch mit allgegenwärtigen Probleme von Heranwachsenden: Wer bin ich? Wer will ich sein? Wo liegen meine Grenzen? In seiner Autobiografie beschreibt Sugerman einen harten, fast tödlichen Weg, auf dem es ihm gelingt diese Fragen zu beantworten. Er schafft es, zunächst alles an Sympathie der Leser zu gewinnen, um sie schließlich zusammen mit seiner Selbstwahrnehmung wieder zu verlieren. Die unverblümt erzählten Tatsachen dieser Biographie sind erschreckend ehrlich und bringen Vieles auf den Punkt. Die kritische Einstellung Sugermans zu heiklen Themen ermöglicht einen adäquaten Umgang mit diesen und rechtfertigt den Gebrauch des Werkes als Jugendliteratur, welche jungen Lesern eine Welt voll Wissen über den Prozess des Erwachsenwerdens, sowie Insiderinformationen über eine Band, die aus dem Rock’n’Roll nicht wegzudenken wäre, eröffnet.

„Wonderland Avenue“ eignet sich als individuelle Heim- oder schulische Gruppenlektüre und bietet mit zahlreichen Zitaten von verschiedenen Lyrikern und Songtextern einen Anknüpfungspunkt für weitere literarische Unterrichtsprojekte.