Buchcover Anna Kuschnarowa: Kinshasa Dreams

Jengo wird in Kinshasa während eines Gewittersturms geboren. Seine Mutter stirbt beinahe und seine...

Rezension von Eva Maus

Jengo wird in Kinshasa während eines Gewittersturms geboren. Seine Mutter stirbt beinahe und seine Großmutter deutet die Zeichen: Jengo ist ein Hexenkind. So wächst Jengo zwischen seiner misstrauischen Grandmère, seinem freundlichen Grandpère, seiner überforderten Mutter und seinen zahlreichen Geschwistern auf - ein unfreundliches Leben bis er seine Liebe und sein Talent zum Boxen entdeckt und er beschließt Champ zu werden wie Muhammad Ali...

BuchtitelKinshasa Dreams
AutorAnna Kuschnarowa
GenreGegenwart & Zeitgeschichte
Lesealter14+
Umfang379 Seiten
Edition1
VerlagBeltz & Gelberg
ISBN978-3-407-74369-5
Preis14,94 €

Jengo wird in Kinshasa während eines Gewittersturms geboren. Seine Mutter stirbt beinahe und seine Großmutter deutet die Zeichen: Jengo ist ein Hexenkind. So wächst Jengo zwischen seiner misstrauischen Grandmère, seinem freundlichen Grandpère, seiner überforderten Mutter und seinen zahlreichen Geschwistern auf - ein unfreundliches Leben bis er seine Liebe und sein Talent zum Boxen entdeckt und er beschließt Champ zu werden wie Muhammad Ali.
Doch im Kongo herrscht Krieg. Erst stirbt Jengos Vater, dann sein geliebter Großvater und seine Mutter verschwindet heimlich nach Europa. Als Jengo zu einem abergläubischen Onkel geschickt wird, will dieser den vermeintlichen Hexenjungen schließlich zu einer blutigen Dämonenaustreibung bringen. Der inzwischen 16Jährige beschließt zu fliehen – nach Frankreich, wo er seine Mutter zu finden hofft.
Seine Odyssee beginnt mit einem lebensgefährlichen Flug nach Kairo. Immer wieder wechselt Jengo nun seinen Namen und strandet in scheinbar aussichtslosen Situationen. Er trifft selbstlose Helfer und gerät an skrupellose Schleuser. Eine Salafisten-Schule macht ihn beinahe zu einem Kämpfer des Islams. Fast kommt er auf dem Mittelmeer um und muss vor der Polizei fliehen. Seinen Traum, einmal Box-Champ zu werden, verliert er dabei nie völlig aus den Augen. In Paris trifft er schließlich Freunde und sogar die Liebe, aber als Illegaler ist es ein trügerisches Glück.

‚The Ring Magazine‘ Wow! Meine Laune hebt sich. Ich fühle mich gebauchpinselt. O.k. Für ‚The Ring Magazine‘ wärme ich mich gern noch einmal auf. Sieg der Eitelkeit!
„Hi Joe! Ich darf doch Joe zu Ihnen sagen oder?“
Ich nicke und halte ihm die Hand hin. Er schüttelt sie kurz.
„Ich bin James P. Weston. Ich freue mich sehr, dass ich heute vor Ihrem großen Kampf das Interview mit Ihnen führen kann. Aber ich will gar nicht lange Ihre kostbare Aufwärmzeit vertrödeln. Fangen wir gleich an: Joe, wie würden Sie selbst Ihre Kindheit und Jugend beschreiben?“

Meine Kindheit und Jugend. Soll ich ihm wirklich erzählen, dass ich ein Hexenkind war, ein Bana Bandoki? Der würde mich doch für verrückt halten. ‚Hexenkind – der hat zu oft eine aufs Hirn bekommen‘, wird er denken, werden alle denken, die das lesen. Sollte ich ihm wirklich verraten, wer ich bin? Wusste ich es denn selbst? Ich meine, wer bin ich denn? Ich kann mich noch nicht einmal an alles erinnern, was ich erlebt habe. Es gibt nur Erinnerungsfetzen und das Hirnkino. ‚Darf ich Sie heute ins Kino einladen, Mister Weston? Bitte, nehmen Sie Platz. FSK 18. Zu viele Gewaltszenen. Vielleicht noch ein wenig Popcorn? Ja? Mit Zucker oder mit Salz?‘
(Anna Kuschnarowa: Kinshasa Dreams, S.70f.)

Kinshasa Dreams erzählt die Geschichte der gefährlichen Flucht eines sympathischen, jungen Boxers: Ein interessantes Buch über ein hochaktuelles und brisantes Thema.

Jengo liebt seine Heimat und sieht doch die großen Probleme des Kongos. Besonders zu schaffen macht ihm der Aberglaube und die Trennung der Volksgruppen, denn als vermeintliches Hexenkind ist er genauso als Außenseiter Anfeindungen ausgesetzt wie als Halb-Bantu unter Wolofs.

Nachdem Jengo beschließt, in das verheißungsvolle Europa zu flüchten, muss er sich mehrfach in Lebensgefahr begeben, anderen Flüchtlingen beim Sterben zusehen und gegen seine Überzeugungen kriminell werden. Immer wieder streiten in ihm moralische Überzeugungen mit dem Willen, zu überleben. Damit werden in Kinshasa Dreams die Beweggründe und das Schicksal afrikanischer Flüchtlinge thematisiert, die versuchen, in Europa ein besseres Leben zu finden und dabei erst Schleusern und anschließend der westlichen Bürokratie ausgeliefert sind. Andererseits begegnen Jengo immer wieder auch echte Freunde und selbstlose Helfer, die ihre je ganz eigenen Motive haben. Der Bäcker Hosny zum Beispiel gibt Jengo sein ganzes Geld, um es nicht an seinen Bruder vererben zu müssen. Der Straßenjunge Jacques wird Jengos Vertrauer und begleitet ihn auf den ersten Stationen seiner Flucht.  Die Kraft für diese gefährliche Reise zieht Jengo aus seinem Wunsch Box-Champ zu werden. Sein Vorbild ist Muhammad Ali, der Stärke mit Schnelligkeit im Boxring genauso kombiniert wie Gewissen und politischen Kampfgeist außerhalb.

Da einige Passagen aus Jengos Leben sehr detailliert und liebevoll beschrieben werden, andere aber schnell übergangen oder – wie seine erneute Flucht nach der dramatischen Ausweisung und der Weg zum entscheidenden Boxkampf – völlig übersprungen werden, gewinnt der Leser das Gefühl, dass die Autorin ein ambitioniertes Werk nur teilweise umsetzen konnte. Der sonst gelungene Spannungsbogen wird so einige Male unterbrochen.

Jengos Geschichte wird von ihm selbst in konsequenter Innensicht geschildert. Vor einem wichtigen Boxkampf wärmt er sich auf und gibt einem Zeitschriftenreporter ein Interview. Seine Gedanken schweifen jedoch ab und sein ‚Kopfkino‘ spult Kindheit und Jugend chronologisch ab. In der Konfrontation dieser beiden Welten wird nicht nur deutlich, wie sehr Jengo unter dem Erlebten leidet, sondern auch wie wenig seiner wahren Identität er preisgeben kann und will.

Trotz der drastischen Darstellung der Flucht wirkt der ‚coole‘ Erzählstil und die bemüht männliche Sichtweise manchmal etwas emotionslos. Das Trauma wird eher benannt als erlebt, was vor Pathetik schützt und einigen Lesern entgegen kommen dürfte, angesichts des Themas aber manchmal auch befremdlich wirkt.

Das Buch ist in drei große Abschnitte unterteilt, die jeweils mit einem afrikanischen Sprichwort oder einem Ali-Zitat eingeleitet werden. Diese sind in weitere Unterkapitel gegliedert, was das Lesen erleichtert. Das Cover – Zebramuster und ein dunkelhäutiger Boxer – wirkt etwas folkloristisch, aber macht neugierig auf die Geschichte.

Kinshasa Dreams eignet sich für Vielleseverfahren, aber auch zur gemeinsamen Lektüre im Unterricht. Die vielfältigen, angerissenen Themen (Flüchtlingsproblematik, Situation im Kongo, Familie, Aberglaube, Religion, Freundschaft und Moral) können dabei als Diskussionsanstoß dienen. Die Erzählstruktur eignet sich gleichsam für literarische Analysen. Ausgelassene Handlungsverläufe bieten die Möglichkeit, in einem produktionsorientierten Unterricht Leerstellen zu füllen.

Der Beltz-Verlag bietet zu Kinshasa Dreams Unterrichtsmaterialien für die Klassenstufen 8-10 an. www.beltz.de/de/paedagogik/beltz-paedagogik/paedagogik-katalog/titel/kinshasa-dreams-im-unterricht.html (für registrierte LehrerInnen zum kostenlosen Download, sonst als kostenpflichtiges Heft bestellbar)