Buchcover Sage Blackwood: Jinx und der magische Urwald

Der sechsjährige Jinx fällt seinem Stiefvater immer mehr zur Last, bis dieser ihn eines Tages im...

Rezension von Isabel Deibel

Der sechsjährige Jinx fällt seinem Stiefvater immer mehr zur Last, bis dieser ihn eines Tages im Urwald aussetzt. Als Trolle die beiden im Wald angreifen, wird Jinx von Simon dem Zauberer gerettet, bei dem Jinx von da an wohnt. Nach und nach lernt Jinx lesen und zaubern und stellt fest, dass er ein Baumlauscher ist: Er kann die Bäume im Urwald sprechen hören. Außerdem kann er Gedanken lesen...

BuchtitelJinx und der magische Urwald
AutorSage Blackwood (übersetzt von Sylke Hachmeister)
GenreFantasy
Lesealter8+
Umfang351 Seiten
VerlagOetinger
ISBN978-3-7891-2016-9
Preis16,95 €

Der sechsjährige Jinx fällt seinem Stiefvater immer mehr zur Last, bis dieser ihn eines Tages im Urwald aussetzt. Als Trolle die beiden im Wald angreifen, wird Jinx von Simon dem Zauberer gerettet, bei dem Jinx von da an wohnt. Nach und nach lernt Jinx lesen und zaubern und stellt fest, dass er ein Baumlauscher ist: Er kann die Bäume im Urwald sprechen hören. Außerdem kann er Gedanken lesen – sie umgeben als farbige Wolken die Gesichter der Menschen. Als Simon eines Tages einen Zauber bei ihm durchführt, durch den er diese wertvolle Gabe verliert, schwindet sein Vertrauen in den Zauberer und er beschließt, herauszufinden, welchen Zauber Simon bei ihm angewendet hat und wie er ihn rückgängig machen kann. Er fasst den Entschluss, die Hexe Donna Glimmer aufzusuchen, die Simon die Zutaten für den Zauber verkauft hatte. Unterwegs zu Donnas Hexenhaus lernt er den Räuber Reven und das Mädchen Elfwyn kennen. Die beiden sind ebenfalls verhext worden: Reven kann nicht erzählen, wer er ist und woher er kommt, während Elfwyn immer die Wahrheit sagen muss, wenn sie etwas gefragt wird. Als die drei bei Donna Glimmer ankommen, gibt diese ihnen den Tipp, dass ihnen vielleicht der Knochenmeister helfen könnte. Allerdings ist der Knochenmeister jener Zauberer, der von allen Bewohnern des Urwaldes gefürchtet wird, denn man sagt, er sauge den Menschen mit einem Strohhalm die Seele aus. Trotzdem machen sich die drei auf den Weg zu Schloss Knochenburg, wo der Knochenmeister sie gefangen nimmt, um Simon erpressen zu können. Doch Simon kommt nicht, um sie zu retten. Die drei finden nach und nach heraus, welch bösartige Macht der Knochenmeister im Schloss versteckt, und versuchen zu fliehen. Doch der Knochenmeister lässt sich so leicht nicht überlisten und bemerkt, dass sie fliehen und seine Macht zerstören wollen. Im letzten Moment kommen ihnen Simon und Donna Glimmer zu Hilfe und Jinx merkt, dass Simon doch kein böser Zauberer ist. Im Gegenteil, Simon gibt Jinx sogar seine Fähigkeit, Gedanken lesen zurück und will ihn schließlich nach Samara schicken, wo er noch mehr über Magie lernen soll.

Ehe sie am nächsten Morgen aufbrachen, sah Jinx, wie Donna Glimmer Simon ein Bündel zuschob, das fest in ein rot getupftes Tuch geschnürt war.
Simon steckte es in die Innentasche seines Umhangs.
Jinx konnte nicht sehen, was Simon ihr im Tausch gab. Zurück nahmen sie einen anderen Weg. Jedes Mal, wenn sie an eine Wegkreuzung kamen, blieb Simon stehen und schaute in alle Richtungen, als erwarte er jemanden.
„Na, so was“, sagte Simon an der siebten Kreuzung.
Ein Zauberer kam den Weg entlang. Er sah aus, wie ein Zauberer auszusehen hatte, mit langem weißem Bart, blauem Umhang und dazu passendem spitzen Hut. Seine blauen Augen sprühten Funken. Sein Lächeln wollte nicht recht zu den blitzenden, rosa Wutwolken passen, die ihn umgaben wie ein Gewitter.
„Was treibt dich denn aus deiner Höhle, Knochenmeister?“, fragte Simon.
Das war also der Knochenmeister!
Der Zauberer der schaurigen Geschichten und flaschenförmigen Ängste. Er sah beinahe freundlich aus. Aber die rosa Wolken um seinen Kopf verrieten, dass er nicht freundlich war. Sie waren nämlich mit Messern gespickt. So etwas hatte Jinx noch nie gesehen.
Ohne Simon an seiner Seite wäre Jinx überzeugt gewesen, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte.
„Gewiss nicht der Wunsch, dich zu sehen, Simon“, sagte der Knochenmeister. „Aber da uns ein glücklicher Zufall zusammengeführt hat, könnten wir doch zu dir nach Hause gehen und suchen, was du mir gestohlen hast!“
„Nein“, sagte Simon. „Nicht mal im Tausch gegen das, was du mir gestohlen hast.“
„Hatte ich das angeboten? Wie auch immer, ich habe gar nichts gestohlen“, sagte der Knochenmeister. „Ich habe nur genommen, was mir zustand.“
„Geh vom Pfad, dann geb ich dir, was dir zusteht.“
„Große Töne, Simon, wie üblich. Aber du kannst mich nicht besiegen – du hast nicht die Macht. Die Brandwunde ist schön verheilt, wie ich sehe.“
Beide kochten jetzt vor Wut. Der Knochenmeister sah immer noch eher belustigt aus, aber die Messer in der rosa Wolke tanzten gierig umher.
(Jinx und der magische Urwald, Seite 86ff.)

In „Jinx und der magische Urwald“ wird der Leser in die fantastische Welt des Urwalds entführt, in dem es von magischen Wesen nur so wimmelt: Zauberer, Hexen, Trolle und Werwölfe lauern hinter jedem Baum und nicht immer ist klar, ob sie gut oder böse sind. Jinxs magische Gabe, die Gedanken und Gefühle anderer Lebewesen in Form von farbigen Wolken zu sehen, hilft ihm dabei, oberflächliche Freundlichkeit zu entlarven. Dem jungen Leser wird somit durch die Geschichte deutlich gemacht, dass der Schein sehr oft trügen kann und dass man nicht leichtfertig auf die Mimik der Menschen vertrauen sollte. Im Laufe der Handlung wird Jinx fortlaufend damit konfrontiert, zu entscheiden, ob sein Gegenüber gut- oder bösartig ist und er ihm vertrauen kann. Bis kurz vor Ende des Romans ist daher nicht klar, ob Simon nun ein guter oder böser Zauberer ist, denn seitdem Jinx seine magische Gabe nicht mehr hat, kann er nur auf den Gesichtsausdruck der Menschen vertrauen.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht das Stärken und Entwickeln der eigenen Persönlichkeit, die Jinx braucht, um zaubern zu lernen. Jinx verkörpert als Held Eigenschaften wie Entdeckungsfreudigkeit, Intelligenz und Liebenswürdigkeit, aber auch Gerechtigkeit, nicht nur anderen Menschen, sondern auch dem Wald gegenüber, denn als Baumlauscher kann er nicht zulassen, dass lebende Bäume von Menschen gefällt oder verletzt werden. Wie es von einem kleinen Jungen erwarten werden könnte, zeichnet sich Jinx allerdings auch durch eine gewisse Neugierde aus. Erst als ihm von Simon seine Gabe, Gedanken zu lesen, genommen wird, begibt sich Jinx metaphorisch auf die Reise gegen „das Böse“, also die Ungerechtigkeit, die Simon ihm angetan hat, und trifft dabei auf das personifizierte Böse: den Knochenmeister. Auf dieser Reise werden Jinxs Zauberfähigkeiten auf die Probe gestellt und er bemerkt, dass er nur zaubern kann, wenn er an sich selbst glaubt. Somit ist Jinx für die Zielgruppe der 8-jährigen Leser eine gute Identifikationsfigur, die im Laufe der Handlung heranwächst und positive Werte in Bezug auf das eigene Ich vermittelt.   

Generell überwiegen in dieser Geschichte positive Charaktere: Der Räuber Reven, dem Jinx anfangs skeptisch gegenübersteht, ist ihm jedoch treu und auch Elfwyn und Sophie, Simons Frau, sind nett und freundlich. Am Ende hilft ihm sogar die unberechenbare Donna Glimmer im Kampf gegen den Knochenmeister. Die Geschichte als Ganzes baut somit eine positive Fantasiewelt auf, die Jinx und auch der Leser erkunden wollen. Liebevolle Details, wie die farbigen Gedankenwolken oder die Tatsache, dass die Hexen in Butterfässern durch den Wald reiten, illustrieren die Geschichte auf kreative Art und Weise, wodurch das Lesen dieses Romans zu einem besonderen und spannenden Erlebnis wird.

Das Cover des Buches ist ansprechend gestaltet. Weitere Illustrationen gibt es im Buch nicht, was allerdings dem Leser freien Lauf lässt, seine Fantasie einzusetzen, um sich die Welt in der Geschichte vorzustellen. Die Kapitel haben die richtige Länge für mittelstarke Leser; der Schreibstil der Autorin ist mitreißend und leicht verständlich. Die Übersetzung ist gelungen und in ansprechendem Stil formuliert.

Die Tatsache, dass der Protagonist im Laufe der Handlung mehrere Sprachen erlernt und sich selbst beibringt, sie zu lesen, betont das Lesen als besonders erstrebenswerte Fähigkeit. Ebenfalls wird der Spruch „Wissen ist Macht“ dem Leser nahegebracht. Dies dürfte einen positiven Einfluss auf die Lernfreude der jungen Leser haben, da im Roman somit deutlich vermittelt wird, wie wichtig Wissen ist.

Je nach Lesefähigkeit mag es für manchen 6-Jährigen zu komplex formuliert sein, es eignet sich allerdings ab diesem Alter auch als Buch zum Vorlesen, das durch seine ansprechende Geschichte sicherlich viele Leser zum Weiterlesen animiert. 8-Jährige mit mittlerem Leseniveau sollten es mühelos lesen können. Da der Protagonist im Laufe der Handlung 5 Jahre altert (bis zu seinem 11. Lebensjahr), dürften sich 8-Jährige mit ihm auch besser identifizieren als 6-Jährige. Selbst ältere Leser, sofern sie das Genre mögen, werden hier eine Geschichte vorfinden, die die Fantasie anregt und nicht langweilig wird. Als Freizeitlektüre ist der Roman äußerst ansprechend, als Unterrichtsmaterial allerdings nur bedingt geeignet. Vorstellbar ist, dass Stellen des Romans (eventuell ein Kapitel) am Ende einer Stunde der Klasse als Belohnung für gute Mitarbeit vorgelesen werden (sofern dem Lehrer noch Unterrichtszeit bleibt). Da das Buch sehr darauf abzielt, die Vorstellungskraft des Lesers anzuregen, wird durch Vorlesen den Schülern die Möglichkeit gegeben, mental in diese fantastische Welt einzutauchen, ohne dass die individuelle Lesefertigkeit das Lesen behindern würde. Die Geschichte kann insgesamt mit Leichtigkeit rezipiert werden; es gibt keine zweite Ebene, die die Geschichte mehrdeutig macht. Lesen wird bei diesem Buch zu einer entspannenden Tätigkeit und nicht zu einer Anstrengung, da der Leser sich nicht darauf konzentrieren muss, versteckte Doppeldeutigkeiten in der Handlung zu entdecken. Es eignet sich daher gut für Leser, die Lesen als Stress oder Herausforderung empfinden.