Buchcover Nick Burd: Die Wonnen der Gewöhnlichkeit

Der Protagonist Dade ist ein achtzehnjähriger Junge, der seinen letzten Sommer zu Hause erlebt,...

Rezension von Judith Sonnabend

Der Protagonist Dade ist ein achtzehnjähriger Junge, der seinen letzten Sommer zu Hause erlebt, bevor er zum College geht. In diesem Sommer verändert sich vieles in seinem Leben. Er lebt zusammen mit seinen Eltern in einem amerikanischen Vorort namens Cedarville. In seiner Freizeit schreibt er gerne Gedichte und Kurzgeschichten und sein Wunsch ist es Schriftsteller zu werden. Er ist sich jedoch noch nicht im Klaren darüber, was er studieren will. Zudem denkt er häufig über seine Zukunft nach...

BuchtitelDie Wonnen der Gewöhnlichkeit
AutorNick Burd
GenreComing of Age
Lesealter14+
Umfang320 S. (engl.); 320 S. (dt.)
Edition2011
VerlagDial Books (engl.); Deutscher Taschenbuch Verlag (dt.)
ISBN978-0803733404 (engl.); 978-3423248808 (dt.)
Preis12,30 (engl.); 14,90 (dt.)

Der Protagonist Dade ist ein achtzehnjähriger Junge, der seinen letzten Sommer zu Hause erlebt, bevor er zum College geht. In diesem Sommer verändert sich vieles in seinem Leben. Er lebt zusammen mit seinen Eltern in einem amerikanischen Vorort namens Cedarville. In seiner Freizeit schreibt er gerne Gedichte und Kurzgeschichten und sein Wunsch ist es Schriftsteller zu werden. Er ist sich jedoch noch nicht im Klaren darüber, was er studieren will. Zudem denkt er häufig über seine Zukunft nach und fragt sich, wie sich sein Leben wohl entwickeln wird. Dade weiß schon sehr früh, dass er homosexuell ist. Sein Umfeld weiß davon jedoch nichts, bis auf Pablo mit dem er ein Verhältnis hat. Pablo ist ein beliebter Junge aus der Highschool, der jedoch seine eigene Homosexualität leugnet und von Dade verlangt, dass er ihre gemeinsamen Treffen verschweigt. Dade ist in der Highschool nur wenig beliebt und hat kaum Freunde. Erst die Freundschaft mit Lucy, die Nichte der Nachbarin, lässt Dade selbstbewusster werden und hilft ihm unter anderem zu seiner Homosexualität zu stehen. Lucy versteht seine Gefühle und macht ihm Mut sich selbst zu akzeptieren und das zu tun was ihn glücklich macht. Im Laufe des Romans lernt er zudem Alex kennen. Durch diese Begegnung ändert sich das Leben von Dade. Er verliebt sich und lernt mit der Zeit offen zu seiner Homosexualität zu stehen. Dadurch gelingt es ihm auch sein Verhältnis zu Pablo zu beenden und zu begreifen, dass er selbst etwas wert ist. Die drei Monate dieses Sommers sind für Dade die schönsten und bedeutsamsten Monate seines Lebens. In diesen erkennt und behauptet er seine Individualität und wird erwachsen.

Ich übte mich darin, allen möglichen Gegenständen im Haus zu sagen, ich sei schwul. Ich sagte es der Seifenschale in meinem Badezimmer, dem Deckenventilator über meinem Bett und dem blauen Trinkglas, das mir nur deshalb von allen Gläsern das liebste war, weil es über die Jahre seine ganze Familie durch diverse Zusammenstöße mit dem harten Küchenboden verloren hatte und ich mir einbildete, unsere Einsamkeit verbinde uns.
„Ich bin schwul“, sagte ich zu diesen Gegenständen. „Homosexuell.“
Anschließend wartete ich darauf, dass das verwaiste Trinkglas zersprang, der Ventilator von der Decke viel oder die Seifenschale einen markerschütternden Schrei ausstieß. Doch nichts dergleichen geschah. Die Welt drehte sich weiter wie bisher.
(S. 21)

Dingo sah mich mit flackernden Augen so eindringlich an, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Zuerst wollte ich aus Angst gehorchen, aber dann sah ich Alex’ Kopf und Jays Kopf, und auf einmal schreckte mich das Haareschneiden nicht mehr. Ich wollte es selbst, ich wollte von dieser Klippe springen. Ich zog mein Hemd mit einer solchen Begeisterung aus, dass alle Beifall klatschten. Dann nahm ich Thomas’ Platz auf der Toilette ein. Die Musik im Wohnzimmer brach unvermittelt ab, und enttäuschtes Stöhnen wurde laut, aber dann begann der neue Song von Tomato Hoof, und die Jungs brüllten die ersten Zeilen mit. Ich nahm mir in Gedanken schon mal vor, den Song gleich bei meiner Rückkehr nach Hause herunterzuladen.
Als Jay fertig war, stand ich auf und betrachtete mich im Spiegel. Ein Fremder sah mich an. Ich weiß noch, wie ich dachte, dass es den braven Jungen aus Provinz mit dem von Mutti gebilligten Haarschnitt jetzt nicht mehr gab. Ich fühlte mich an allem, was um mich geschah, aktiv beteiligt. Ich gehörte auf einmal dazu, und alles war schön und auf schreckliche Weise neu.
(S. 160)

Der Ich-Erzähler in seiner Welt
Dade ist mit seinem Leben überfordert und fühlt sich von seinen Eltern oftmals nicht verstanden. Dades Kommunikationsverhalten ist zu Anfang eingeschränkt und verschlossen, da er mit niemandem über seine wahren Gefühle reden kann. Seine Homosexualität verschweigt er seinen Eltern zu Anfang. Sie sind mit ihren eigenen Konflikten beschäftigt und versuchen die Ehe aufrecht zu erhalten. Dadurch nehmen sie sich kaum Zeit für Dade und erkennen zuerst nicht, welche Probleme und Ängste er hat. Sein Vater ist für Dade keine Identifikationsfigur, da sie nicht viel gemeinsam haben und Dade es als unangenehm empfindet mit seinem Vater zu reden. Mit seiner Mutter streitet er sich oft und empfindet häufig Mitleid, da er merkt, wie unglücklich sie mit ihrem Leben ist. Er entwickelt eine Verweigerungs-Haltung gegenüber dem „Erwachsen-werden“ bzw. stellt den typischen Lebensentwurf, der von der Gesellschaft als „normal“ anerkannt wird, in Frage. Dade realisiert, dass seine Eltern, die versuchen nach diesem Muster leben, unglücklich sind und krampfhaft versuchen ihr Leben trotzdem in den Griff zu bekommen bzw. ihre Ehe zu retten. Dade ist froh, wenn er den Vorort Cedarville endlich verlassen und sein bisheriges Leben hinter sich lassen kann. Trotzdem hat er Zukunftsängste und macht sich häufig Gedanken darüber, wie sein Leben auf dem College weitergehen wird. Die Erwartungen, die an ihn gestellt werden bedrücken ihn, da er sich nicht sicher ist, ob er sie erfüllen kann. Er empfindet Solidarität mit Lucy und Alex, die er im Verlauf des Romans kennen lernt. Sie werden seine Freunde, da er ihnen vertrauen kann und sie ihn akzeptieren. Dade bewundert Lucy, da sie offen dazu steht, dass sie lesbisch ist. Als seine Beziehung zu Alex beginnt, scheint er die Zukunft für eine Weile zu vergessen und genießt sein Leben im Hier und Jetzt. Alex geht ebenfalls offen mit seiner Homosexualität um und wird so zum Vorbild für Dade, der sich nicht länger verstecken will. Im Vordergrund steht jetzt eine Normabgrenzung gegenüber seinen damaligen Mitschülern und den Mitläufern, die sich nicht trauen ihre eigene Meinung auszubilden. Mithilfe dieser Einstellung schafft Dade es zudem sich von Pablo zu lösen. Er erkennt, dass er im Gegensatz zu Pablo den Mut hat, ehrlich zu sich selbst zu sein.

Verstehen durch Erzählen
Zu Beginn des Romans wird Dades mentale Ausgangslage von seinem Umfeld geprägt, da er oft gedemütigt oder ignoriert wird. Er wird als ein eher unsicherer Typ beschrieben, der sich selbst als „Loser“ wahrnimmt und kein Selbstvertrauen besitzt. Er ist verschlossen und wirkt traurig. In seiner Beziehung zu Pablo verhält sich Dade unterwürfig und lässt sich demütigen. Seine Selbstwahrnehmung ist somit sehr negativ geprägt und er weist nur ein geringes Selbstbewusstsein auf. Seine Familie stellt keinen Rückzugsort für ihn dar und er fühlt sich in Cedarville nicht richtig zu Hause. Sein Wunsch Cedarville zu verlassen und die Gedanken an sein neues Leben auf dem College sowie die damit verbundene Aufgabe erwachsen zu werden, bereiten ihm jedoch auch Unbehagen. Dade ist auf der Suche nach seinem eigenen Weg und seinem Platz in der Gesellschaft.
Die Freundschaft mit der selbstbewussten Lucy und seine Beziehung zu Alex helfen Dade jedoch das Leben zu genießen und zu sich selbst zu stehen. Sie akzeptieren ihn wie er ist und nehmen ihn ernst. Am Ende des Romans erreicht Dade ein positives Verstehensniveau seiner eigenen Lebensumstände. Er begreift schließlich seine Lebensumstände als eine Chance und blickt am Ende des Buches positiv und hoffnungsvoll in die Zukunft. Die drei Sommermonate mit all den Veränderungen nimmt er schließlich als einen abgeschlossenen Abschnitt seines Lebens wahr, auf den noch viele weitere Abschnitte und Ziele folgen werden, die er meistern wird. Er entwickelt sich zu einem unabhängigen und offenem Charakter, der zu seiner Homosexualität steht.

Formale Aspekte
Auf dem Buchcover sind Hände abgebildet, die einen Föhn festhalten. Der Föhn wird so in den Händen gehalten, als wäre es eine Pistole. Dadurch wirkt das Bild ein wenig provokant. Dieses Cover weckt das Interesse des Lesers, ein direkter Bezug zum Buch fehlt jedoch.
Die Schriftgröße ist angemessen und leserfreundlich. Das Buch besteht aus neunzehn Kapiteln, die in ihrer jeweiligen Länge variieren. Es existieren z.B.  Kapitel, die nur aus sieben Seiten bestehen und andere, die über zwanzig Seiten beinhalten. Die längeren Kapitel sind dennoch überschaulich, da sie größtenteils sinnvolle Absätze aufweisen.
Außerdem existiert zu Anfang ein Kapitel mit dem Titel „Davor“ und zum Schluss ein Kapitel mit dem Titel „Danach“.  Diese Kapitel reflektieren Dades Erlebnisse vor den drei Sommermonaten, also der Abschlussball und seine Erlebnisse auf dem College, die nach den drei Sommermonaten passieren. Vergleicht man diese beiden Kapitel, erkennt man sehr deutlich die Veränderungen und Entwicklungen, die Dade während der drei Sommermonate durchlebt hat.
Da der Autor aus der Sicht von Dade schreibt, ist die Sprache nicht zu komplex. Des Weiteren beinhaltet der Roman viele authentische Dialoge. Die Gedankengänge von Dade entsprechen denen eines typischen Jugendlichen, der sich mit Gefühlen, wie  Ängsten, Liebe und Unsicherheiten auseinandersetzen muss. Dadurch erreicht der Autor eine einfache Verständlichkeit und schafft ein hohes Identifikationspotenzial.

Zusammenfassende Bewertung und Fazit:
Der Autor beschreibt das alltägliche Leben eines Jugendlichen, der noch nicht so recht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll. Dades Gefühlswelt wird  einfühlsam und realistisch dargestellt und der Leser kann sich gut in Dades Leben hineinversetzen. Man versteht seine Angst vor seinem „Coming out“ und den möglichen Konsequenzen. Neben den Ängsten und Verunsicherungen werden jedoch auch Momente in Dades Leben beschrieben, die ihm zeigen, dass das Leben sehr schön sein kann. Liebe und Freundschaft, sowie das Gefühl, dass man vieles schaffen kann, wenn man es wirklich will, geben sowohl Dade als auch dem Leser das Gefühl, dass das Leben lebenswert ist. Nick Burd beschreibt in seinem Roman interessante gegensätzliche Charaktere von denen sich einige im Laufe des Romans weiterentwickeln. Im Buch werden einige ernste Themen angesprochen, wie zum Beispiel der Gruppendruck in der Highschool, die Schwierigkeit sich selbst zu behaupten oder die Depressionen der Mutter. Trotzdem schafft es der Autor immer wieder die Atmosphäre des Buches durch glückliche Erlebnisse oder witzige Dialoge aufzulockern. Vor allem das letzte Kapitel hinterlässt beim Leser ein positives Gefühl, da deutlich wird, dass Dade trotz aller Probleme und Schwierigkeiten zu sich selbst gefunden hat.
Dieser Roman regt zum Nachdenken an, denn es wird deutlich, welcher Druck von der Gesellschaft ausgeht und wie schwer es für Jugendliche ist akzeptiert zu werden und gleichzeitig zu sich selbst zu stehen und kein Mitläufer zu sein.

Der Roman eignet sich zur individuellen Heimlektüre, aber auch der Einsatz in der Schule ist denkbar, denn Homosexualität sollte als Selbstverständlichkeit gelten und somit entsprechend thematisiert werden. So erfahren Kinder und Jugendliche bereits in der Schule, dass es verschiedene Lebensentwürfe gibt und gleichgeschlechtliche Beziehungen etwas durchaus Alltägliches sind. Dadurch lernen Kinder der Homosexualität vorurteilsfrei zu begegnen und sie zu tolerieren.