Buchcover Michael Northrop: Räudiges Pack

Als Jimmer nach längerer Abwesenheit zu seiner Mutter nach Hause zurückkommt, hat diese sich einen...

Rezension von T.A. Wegberg

Als Jimmer nach längerer Abwesenheit zu seiner Mutter nach Hause zurückkommt, hat diese sich einen Hund angeschafft – einen leicht verhaltensgestörten Rottweiler aus dem Tierheim, der eine traurige Vorgeschichte hat. Jimmer nennt ihn Johnny Rotten und gewinnt ganz allmählich das Vertrauen des scheuen Tiers.

BuchtitelRäudiges Pack
AutorMichael Northrop
GenreComing of Age
Lesealter14+
Umfang269 Seiten
Edition2014
VerlagLoewe
ISBN978-3-7855-7999-2
Preis8,95 €

Als Jimmer nach längerer Abwesenheit zu seiner Mutter nach Hause zurückkommt, hat diese sich einen Hund angeschafft – einen leicht verhaltensgestörten Rottweiler aus dem Tierheim, der eine traurige Vorgeschichte hat. Jimmer nennt ihn Johnny Rotten und gewinnt ganz allmählich das Vertrauen des scheuen Tiers.
Als sein Kumpel Mars zu Besuch kommt, wird er von Johnny Rotten gebissen. Seine Familie bauscht den Vorfall auf und will vor Gericht gehen, um Schmerzensgeld einzuklagen. Außerdem soll der Hund eingeschläfert werden. Aber das will Jimmer um jeden Preis vermeiden, deshalb denkt er sich alle möglichen Strategien aus, die meist schon an der Durchführung scheitern. Schließlich spricht er mit Mars, und der sagt ihm zu, die Klage zurückzuziehen – unter der Bedingung, dass Jimmer ihm erzählt, wo er die Sommermonate verbracht hat.
Genau das ist ein Geheimnis, das Jimmer eigentlich für sich behalten wollte. Doch er hat keine Wahl, wenn er Johnny Rotten retten will. Also erzählt er seinen Freunden, wo er war und warum. Prompt macht es die Runde an der ganzen Schule – Mars hat nicht dichtgehalten. Und nicht nur das: von seinem Teil der Vereinbarung ist nun auch nicht mehr die Rede.
Jimmer muss an zwei Fronten kämpfen. Seine Exfreundin Janie schafft es, ihn mit taktisch klugen Ratschlägen auf den richtigen Weg zu lenken und das Problem mit Köpfchen zu lösen. Ihr Plan funktioniert. Mithilfe von Aaron, Mars’ bestem Freund, fliegt der Schwindel um den Hundebiss auf, und die Klage der geldgierigen Familie wird abgewiesen. Auch für Johnny Rotten ist das Todesurteil aufgehoben. Und Jimmer ist Janie wieder ein bisschen nähergekommen.

Ich stehe oben auf den drei Stufen der Gartentreppe. Meine Augen huschen zu Mars’ Gesicht und zurück zu seiner Hand. Es ist schon eine Weile her, dass ich den Typen so blutig und leidend gesehen habe.
„Komm rein!“, rufe ich und öffne die Fliegengittertür etwas weiter, um ihm zu zeigen, dass ich es ernst meine. „Wir sollten die Wunde auswaschen. Ist besser so!“
Mars wirft einen Blick auf JR, doch JR hat sich keinen Zentimeter bewegt. Er hockt immer noch auf der kahlen Erde in der Ecke.
„Er kommt dir schon nicht hinterher!“, sage ich.
Mars schleicht sich näher heran und stützt sich mit der gesunden Hand auf den Zaunpfahl, ohne JR eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Und als er leicht in die Knie geht, kapiere ich, dass er über den Zaun springen will.
„Da drüben wäre auch ein Tor …“, meine ich.
„Ach so, stimmt“, erwidert Mars und geht rüber, entriegelt das Tor und dreht sich noch mal nach JR um. Erst als er sich sicher ist, dass er nichts zu befürchten hat, betritt er den Garten und marschiert hastig Richtung Tür.
„Pass auf, wo du hintri-“
„Ich weiß, ich weiß“, fällt er mir ins Wort. „Der Hund hat die Wiese vollgeschissen.“
Mars’ letzter Satz kommt mir irgendwie komisch vor. Die ganze Sache mit dem Biss kommt mir irgendwie komisch vor.

Der Ich-Erzähler in seiner Welt
Räudiges Pack von Michael Northrop steht in der Tradition der Tierbücher für Jugendliche – und ist doch völlig anders als Lassie, Flipper und Konsorten, denn hier fehlen Sentimentalität und Kitsch. Gerade das macht dieses Buch so lesenswert, speziell für Jungen, denn der 16-jährige Ich-Erzähler Jimmer ist so authentisch, unverfälscht und echt wie der Nachbarssohn und wird an keiner Stelle durch Gefühlsduselei zum Pseudohelden stilisiert.
Im Gegenteil: Jimmer hat Fehler, Macken und Probleme, er kommt gelegentlich mit dem Gesetz in Konflikt, betrachtet sich gern als Outlaw, lässt sich eher vom Testosteron als vom Verstand leiten und neigt zu heftigen Wutausbrüchen, bei denen auch mal etwas zu Bruch gehen kann. Mit seiner Exfreundin Janie würde er gern wieder zusammenkommen, aber er weiß nicht, wie er es anstellen soll. Reden ist nicht seine Stärke. Stattdessen schlägt er mit seinen drei Kumpels die restliche Zeit der Sommerferien tot.
Von Johnny Rotten, dem schüchternen Rottweiler, den seine Mutter aus dem Tierheim gerettet hat, erwartet er nicht viel – er hat ihn ja nicht mal gewollt. Aber er beobachtet den Hund aufmerksam, analysiert sein Verhalten, erkennt seine Schwächen und Stärken und gewinnt schließlich das Vertrauen und die Zuneigung des Tieres. Er freut sich über jeden kleinen Fortschritt, den der verstörte Hund in seinem Sozialverhalten macht.
Als Jimmers nerviger Kumpel Mars zu Besuch kommt und Johnny in die Enge treibt, schnappt der Hund zu. Es ist keine schlimme Verletzung, und Jimmer kümmert sich sofort darum, aber Mars’ Familie wittert die Chance auf ein üppiges Schmerzensgeld und bauscht die Angelegenheit auf. Jimmers allein erziehende Mutter hat kaum Geld und könnte durch die gerichtliche Klage völlig ruiniert werden, und Johnny Rotten droht das Todesurteil. Jimmers Freundeskreis spaltet sich: Rudy und er auf der einen, Mars und Aaron auf der anderen Seite. Plötzlich stehen sich die beiden Lager feindlich gegenüber.
Schließlich bleibt Jimmer nichts anderes übrig, als Mars zu bitten, die Klage zurückzuziehen. Der fordert als Gegenleistung allerdings Auskunft darüber, wo Jimmer die Sommermonate verbracht hat – etwas, das Jimmer bisher strikt geheim gehalten hat (womit Northrop geschickt Spannung aufbaut). Ihm bleibt keine Wahl, er muss die Wahrheit sagen. Mars missbraucht sein Vertrauen und erzählt es an der ganzen Schule herum. Von einer Rücknahme der Klage ist außerdem keine Rede mehr.
Dass am Ende doch alles gut ausgeht, ist nicht unbedingt Jimmers Verdienst – dabei spielen auch seine clevere Exfreundin Janie, die Kindheitserlebnisse von Aaron und ein paar Zufälle mit. Aber Räudiges Pack lebt aus meiner Sicht ohnehin weniger vom Handlungsverlauf, sondern von der liebevoll vermittelten Atmosphäre, den sehr glaubwürdig und vielschichtig dargestellten Figuren, der gut beobachteten Schilderung des Hundes und ganz besonders von einer herrlich schnodderigen, absolut authentischen Sprache. Hier sollte die Leistung des Übersetzers Ulrich Thiele unbedingt gewürdigt werden, denn es ist ihm gelungen, Jimmer und seinen Freunden genau den richtigen Ton zu geben. Gerade bei Jugendbüchern kann dieser Versuch zu den peinlichsten Entgleisungen führen. Räudiges Pack hat jedoch jede nur denkbare Street Credibility.

Verstehen durch Erzählen
Ein weiterer Pluspunkt des Romans ist die glaubhafte und nachvollziehbare Darstellung des Hundes. Seine Vorstellungswelt wird – durch Jimmers Augen – gut erschlossen, ohne ihn dafür vermenschlichen zu müssen. Dem Autor gelingt es, ganz unaufgeregt und ohne Gefühlsduselei eine tiefe Sympathie für das Tier zu schaffen, obwohl – oder gerade weil – es immer Tier bleiben darf und weder Einbrecher verjagt noch Jimmer die Schulbücher hinterherträgt. Nur selten werden Hunde in der Literatur wirklich lebensecht gezeichnet; in Romanen sind sie häufig auf Familienspielzeuge reduziert, die ohne eigene Bedürfnisse zur Entspannung und Belustigung der Protagonisten zur Verfügung stehen. Räudiges Pack dagegen beschreibt auch die Verpflichtungen des Hundehalters (obwohl ich es nicht ganz ausreichend finde, den Hund zur Verrichtung seiner Notdurft in den Garten zu schicken und seinen Auslauf auf einen angeleinten Spaziergang pro Tag zu beschränken).
In Jimmers Reflektionen über Johnny Rotten spiegelt sich seine größte Stärke: eine tief gehende, bewertungsfreie Empathie. Der 16-Jährige beobachtet den Hund amüsiert, aufmerksam, respektvoll, ohne eigene Erwartungen oder Ansprüche und mit viel Verständnis für seine Schwächen. Johnny Rotten ist für ihn kein Renommierobjekt, kein starker Beschützer und kein williges Spielzeug. Er hat an keiner Stelle die Absicht, den Hund zu irgendeinem Zweck zu benutzen, sondern stellt sich im Gegenteil ganz in seinen Dienst und ist vor allem daran interessiert, ihm das Leben schöner zu gestalten. Diese Einstellung macht den Protagonisten außerordentlich sympathisch und dient im Idealfall dem einen oder anderen Leser als Vorbild im Umgang mit Hunden oder mit Tieren allgemein.

Fazit
Northrops Roman funktioniert auf zwei Ebenen: als lesenswerte Geschichte über Loyalitätskonflikte und Freundschaft ebenso wie als literarische Bedienungsanleitung für (schwierige) Hunde. An diesem Buch werden nicht nur jugendliche Leser ihre Freude haben; ich würde das empfohlene Lesealter nach oben hin nicht begrenzen.