Buchcover Peter Cameron: Someday This Pain Will Be Useful To You

Der siebzehnjährige James Sveck erlebt in New York den Sommer 2003 zwischen Schulabschluss und...

Rezension von Göran Nieragden

Der siebzehnjährige James Sveck erlebt in New York den Sommer 2003 zwischen Schulabschluss und Studiumsbeginn. Er lebt mit seiner Schwester und seiner geschiedenen Mutter, in deren Kunstgalerie er stundenweise aushilft. Die einzigen Personen, zu denen er eine vertrauensvolle Beziehung unterhält, sind seine Großmutter  und John, ein Angestellter in der Galerie. Als guter Schüler ausgewählt, an einer Fortbildung in Washington teilzunehmen, verlässt er die Gruppe heimlich, taucht in der Hauptstadt unter, und spürt einen tiefen Verdruss an allem...

BuchtitelDu wirst schon noch sehen wozu es gut ist
AutorPeter Cameron
GenreComing of Age
Umfang229 S. (engl.); 256 S. (dt.)
VerlagPicador USA (engl.); Albrecht Knaus (dt.)
ISBN978-0312428167 (engl.); 978-3813503081 (dt.)
PreisEUR 10,50 (engl.); EUR 17,95 (dt.)

Der siebzehnjährige James Sveck erlebt in New York den Sommer 2003 zwischen Schulabschluss und Studiumsbeginn. Er lebt mit seiner Schwester und seiner geschiedenen Mutter, in deren Kunstgalerie er stundenweise aushilft. Die einzigen Personen, zu denen er eine vertrauensvolle Beziehung unterhält, sind seine Großmutter  und John, ein Angestellter in der Galerie.


Als guter Schüler ausgewählt, an einer Fortbildung in Washington teilzunehmen, verlässt er die Gruppe heimlich, taucht in der Hauptstadt unter, und spürt einen tiefen Verdruss an allem. Zurück in New York verstärkt sich dieses Gefühl: er spielt John einen 'Streich' und verliert sein Vertrauen. Seine Mutter schickt ihn  zur Psychiaterin, doch James' Eigenarten halten weder einer Diagnose stand noch bedürfen sie einer Therapie. Er ist nicht suizidgefährdet; er verdrängt nicht seine latente Homosexualität; für ihn gibt es eigentlich kein Problem.


Der Roman endet in einer Rückschau auf James' erstes Semester an der Universität, wohin er nach Zureden seiner Schwester letztlich doch gegangen ist, wenn auch ohne Enthusiasmus. Seine Großmutter ist inzwischen verstorben und hat ihm ihr altes Holzhäuschen mit allen Gegenständen und auch ein bisschen Geld vererbt. Es könnte  jetzt 'losgehen' für James ins Leben, und doch sieht er am Romanende nicht viel  optimistischer oder schärfer in die Zukunft als am Anfang. Er weiß nun, dass er auf die Einlösung des Mottos des ihm verhassten frühkindlichen Ferienlagers (gleichzeitig der Titel des Romans) 'Du wirst schon noch sehen, wozu es gut ist', noch warten muss.

My mother opened the gallery about two years ago after she divorced her second husband, because she wanted to “do” something, which you might have thought meant work, but did not: “doing” something entailed buying a lot of new clothes (very expensive clothes that had been “deconstructed,” which as far as I could tell meant some of the seams had been ripped out or zippers had been put where God did not intend zippers to go) because gallery directors had to look like gallery directors, and having lunches at very expensive restaurants with curators and corporate art consultants or, occasionally, an actual artist. My mother had had a fairly successful career editing art books until she married her second husband, and apparently once you stop working legitimately it is impossible to start again. “Oh, I could never go back to that work, it’s so dreary and the last thing the world needs is another coffee table book,” I had heard her say more than once. When I asked her if she thought the world needed an aluminum garbage can decoupaged with pages torn from the King James Bible she said, No, the world didn’t need that, which was exactly what made it art. And then I said, Well, if the world doesn’t need coffee table books then they must be art, too—what was the difference? My mother said the difference was the world thought it needed coffee table books, the world valued coffee table books, but the world didn’t think it needed decoupaged garbage cans.
(S. 31-32)

Der Ich-Erzähler in seiner Welt
Wichtig für James ist durchgängig die Normabgrenzung ggü. sämtlichen Vertretern der Erwachsenenwelt. Mit Ausnahme seiner Großmutter stellt er nicht nur – alterstypisch – alle in Frage, sondern formuliert offen bis sarkastisch Kritik an den Entscheidungen und Werthaltungen seiner Familie (Mutter, Vater, Schwester) und an weiteren Vertretern des 'Systems' (Therapeutin; Museumswärter;  Exkursionsleitung).  Seine besondere Stellung erhält er allerdings v.a. dadurch, dass dies gleichermaßen für seine peers gilt: ist gemeinhin ein Resultat der Normabgrenzung eine Verweigerungs-Haltung ggü. allem, was erwachsen, 'weit weg' und damit unpassend erscheint, so dehnt James diese Haltung auch auf gleichaltrige Exkursionskollegen, Zimmergenossen und Kommilitonen aus. Die im Standard des coming-of-age allgemeinüblichen Solidaritäts-Bemühungen mit Gleichaltrigen verweigert er also ebenfalls.: "I don't like people in general and people my age in particular " (S. 18).


Ein Grund besteht darin, dass sein bis dato geplanter alternativer Lebensentwurf (Mit-)Menschen keinen Platz einräumt: der erträumte Rückzug in ein Eremitendasein voll permanenter Lektüre von Klassikern der Weltliteratur (an keiner Stelle begründet er die Wahl von Shakespeare und dem leicht 'angestaubten' viktorianischem Romancier Trollope) ist in solchem Maße bizarr, dass er seiner Umwelt nicht verständlich erscheinen kann, zumal James' Kommunikations-Verhalten ihn als wortkarg, reaktiv, einsilbig und schnodderig erscheinen lässt. Es ist faszinierend, im Leseprozess die dementsprechende Schwierigkeit zu erleben, die eigentliche Opposition in James' Welt zu benennen: er opponiert durch eine eigenartige Variante von Verweigerung und Lethargie – wie vielen siebzehnjährigen Jungen in der Realität muss man ihm jedes Wort einzeln 'aus der Nase' ziehen.

Verstehen durch Erzählen
Dementsprechend ist James' mentale Ausgangslage schwer zu eruieren. Er hat, äußerlich gesehen, alle sozialen und psychologischen Voraussetzungen für einen 'plangemäßen' Ein- und Aufstieg in die Erwachsenenwelt; materiell und sozial lebt er in sicheren und sorgenfreien Verhältnissen; die Schule fiel ihm leicht bis an die Grenze zum 'Überfliegertum'. Der Prozess des Erzählens, in dem er, wie alle Ich-Erzähler, uns selektiv-manipulativ nur seine eigenen Gedanken, Sichtweisen, Vorbehalte und Wahrnehmungen mitteilt, spannt von Anfang an einen nur schwer erkennbaren Bogen: ist er das Opfer einer nicht erkannten Hochbegabung? schlägt ihm sein Wissen um die eigene Homosexualität doch aufs Gemüt? wenn ja, warum akzeptiert er dann nicht die diesbezüglich völlig vorurteilsfreien Nachfragen seiner Eltern? Er reagiert durchgängig mit innerem Rückzug auf alle Bemühungen, sich zu erklären und seine Wünsche und Erwartungen klar zu äußern. Die typisch adoleszente Selbstwahrnehmung als 'von der Welt unverstanden' kommt allerdings auch nur partiell als Erklärung zum Tragen: die Welt 'tut' ihm nichts, bemüht sich sogar um ihn, doch ihm ist am Bekümmert- oder gar Bemuttertwerden nichts gelegen. Erst mit dem Tod der Großmutter, welcher ihn materiell unabhängig macht, spirituell aber zum ersten Mal auch in ein echtes, tiefes Gefühl, Trauer, formuliert er mit dem letzten Satz des Romans die grösstmögliche Erkenntnis für einen achtzehnjährigen: "I am only eighteen. How should I know what will be good for me?" (S. 228). Er weiß, daß er jung ist und deshalb nicht viel mehr wissen kann als just dies. Das somit erreichte Verstehensniveau ist als Ankündigung des Endes des coming-of-age Prozesses ein wahrer Meilenstein.

Formale Aspekte
Das Cover der englischen Originalausgabe zeigt einen schwarzhaarigen Jungen im weißen T-Shirt vor weißem Hintergrund. Die rechte Hand bedeckt das Gesicht und die Augen – eine glückliche Wahl, denn wir alle können nur erahnen, was sich im Kopf eines Heranwachsenden verbirgt, und nur er selbst kann diesen Kopf stützen. Schriftgröße und Kapitellänge sind leserfreundlich; v.a. die in Rückblenden wiedergegebenen Passagen sind durch deutliche Datierungen ("May 2003") klar konturiert. Sprachliche Komplexität und Verständlichkeit des englischen Originals sind für den Englischlernenden ab Klasse 9 relativ problemlos; James' Reflexionsspiralen mögen ungewöhnlich tief gehen; seine Sprache ist die eines Teenagers.


Zusammenfassende Bewertung und Fazit:
Ein kluger und ungewöhnlich reizvoller zeitgenössischer New York Roman über einen jungen Mann zwischen der altbekannten Schulwelt und dem ungewissen 'Danach' zeigt, gespickt mit Seitenhieben auf die Eitelkeiten der Kunstszene, des Internet-Dating, des Erziehungswesens sowie des US-typischen Einschal¬ten von Therapeuten (Für James) oder life-coaches (für seine Mutter). Als coming-of-age Roman der Gegenwart ist Someday This Pain Will Be Useful to You ein guter Seismograph für die Gedanken- und Gefühlswelt der urbanen Mittelklassejugend, die doch 'bitteschön etwas aus sich machen' soll, jedoch nur eines sicher weiß: daß sie für eben diese Entscheidung noch zu jung ist. Nicht von ungefähr rühren daher die Auszeichnungen als "Best Book for Young Adults" der American Library Association 2008 und als Titel unter den "Top 10 Editor's Picks 2007" bei Amazon.com.

geeignet für individuelle Heimlektüre und Unterrichtsprojekte von Jungen, deren Schulzeit sich dem Ende nähert.


Filmversion, Dir. Roberto Faenza, 2011.