Buchcover James Roy: City Down Under

Die 22 Geschichten des Romans City Down Under von James Roy spielen in der fiktiven australischen...

Rezension von Charlotte Kirstein

Die 22 Geschichten des Romans City Down Under von James Roy spielen in der fiktiven australischen Großstadt City und ihren Vororten. Verschiedene Jugendliche berichten von alltäglichen Erlebnissen auf der Suche nach Identität und im Umgang mit den großen Themen des Lebens wie Liebe und Tod. Verbunden sind sie durch lockere Beziehungen und die Faszination für Gedichte, die ein unbekannter Künstler auf Straßenwände schreibt...

BuchtitelCity Down Under
AutorJames Roy
GenreComing of Age
Lesealter14+
Umfang312 S. (engl.); 288 S. (dt.)
VerlagUQP (engl.); Gerstenberg (dt.)
ISBN978-0702249266 (engl.); 978-3836957588 (dt.)
PreisAUD 19,95 (engl.); EUR 14,95 (dt.)

Die 22 Geschichten des Romans City Down Under von James Roy spielen in der fiktiven australischen Großstadt City und ihren Vororten. Verschiedene Jugendliche berichten von alltäglichen Erlebnissen auf der Suche nach Identität und im Umgang mit den großen Themen des Lebens wie Liebe und Tod. Verbunden sind sie durch lockere Beziehungen und die Faszination für Gedichte, die ein unbekannter Künstler auf Straßenwände schreibt. Trotzdem findet keine Wiederholung der ProtagonistInnen statt, nur als NebendarstellerInnen treten sie in Erscheinung.
Einzige Ausnahme bilden die vier kurzen mit Bus 555 und Bus 567 überschriebenen Erzählungen. Ein unbekannter Erzähler berichtet hier von seiner heimlichen Schwärmerei für eine weibliche Schönheit im Bus, die er tagtäglich sieht, sich aber nicht traut anzusprechen.
Endstation ist Jeremys Brief an seine Mutter, in dem er ihr einen Drogenvorfall beichtet. Es wird deutlich, dass er Drogen kauft, um ihren schlechten gesundheitlichen Zustand zu vergessen. Durch einen Zufall schluckt er eine Überdosis und landet im Krankenhaus. Daraufhin verspricht er seiner Mutter, nie wieder einen Dealer zu kontaktieren. Es wird jedoch nicht klar, ob er damit gleichzeitig von den Drogen ablässt. Durch einige Widersprüchlichkeiten im Text entsteht außerdem ein uneindeutiges Bild seines Verhältnisses zu Drogen: Einerseits spricht er mit einiger Routine von seinen Kaufgepflogenheiten, andererseits stellt er das letzte Treffen mit seinem Dealer als das erste und einzige dar.
In 3 Dates wird die Geschichte des Liebespaars Hugh und Lilly vom ersten Kennenlernen beim Speeddating bis zur Trennung beschrieben. Lilly verlässt die Großstadt nach einigen Jahren aus Heimweh nach ihrer Familie, von der sie bereits beim ersten Date erzählt hatte. Hugh, der als Stadtmensch die urbanen Vorteile genießt, versucht sie zum Bleiben zu überreden.
Fliss geht zu einem Poetry Slam, bei dem sie von den Veranstaltern als das neue Wunderkind gehandelt wird. Trotzdem oder gerade deswegen ist sie sehr aufgeregt vor ihrem Auftritt. Als es endlich soweit ist und sie vorgestellt wird, stellt sich heraus, dass sie die ganze Zeit verwechselt wurde. Nach einigen Sekunden des Zögerns besiegt sie dennoch ihre Angst und liest ihren Text vor, der gleichzeitig das Gedicht schnelle musik im schnöden sommer zwei Kapitel weiter vorne im Buch ist.
Mitch ist Der Fahrer in einem wilden Abenteuer, bei dem er und sein Freund Jason zuerst ihren gemeinsamen Freund Chunks aus einem Haus befreien müssen und anschließend noch von den Kriminellen, die diesen festgehalten hatten, verfolgt werden. Am Ende wird Chunks durch einen Unfall schwer verletzt, die Jagd geht jedoch sonst glimpflich aus.
In Toyota des Teufels ist Veronica gerade auf dem Weg zu einem Treffen mit ihrem Ex-Freund Jeff, als sie Andy trifft, mit dem sie davor zusammen war. Andy versucht sie zu überreden, es wieder mit ihm zu versuchen, sie ist jedoch von dieser Vorstellung geradezu erschreckt: Jegliche Verbindung zu ihrer Vergangenheit erinnert sie an ihre Heimatstadt, in der sie Opfer sexuellen Missbrauchs wurde, und aus der sie in die City und die Religion geflohen ist – sie besucht ein Bibelcollege. Letztendlich bricht sie das Gespräch ab.
Autowäsche ist Nicks Bericht über den Tod seines Vaters, vermischt mit alltäglichen Betrachtungen über seine Arbeit in der Waschanlage. Nach schwerer Krankheit verstarb sein Vater und hinterließ der Familie ein unbenutztes Motorrad. Zum Zeitpunkt der Geschichte beschließt Nicks Mutter, dieses zu verkaufen und so mit der Vergangenheit abzuschließen. Nick kann dies zunächst nicht akzeptieren, findet dann jedoch einen eigenen Weg, seinen Vater zu verabschieden.
Die schwangere Josie wohnt einer Lesung eines Schriftstellers in ihrer Highschool bei. Anschließend bekommt sie die Möglichkeit ihm ihre eigenen Gedichte zu zeigen, wobei er vor allem eines mit dem Titel Versammlung der Geier, das ihre exponierte Situation als schwangerer Teenager beschreibt, als ehrliche Offenlegung ihrer Seele lobt.
In Osondi Owendi lernen sich Lauren und Teddy in einem Plattenladen kennen und verbringen den Nachmittag miteinander. Aus beiden Perspektiven wird die Annäherung über die gemeinsame Vorliebe für Highlife-Musik und afrikanische Kultur geschildert.
Die Erzählung Godwins Gesetz beschreibt ein Footballspiel, zu dem der Erzähler mit seinen Freunden Owen und Rueben geht. Auf Grund seiner Homosexualität und der Mittellosigkeit seiner Familie ist Rueben ein Außenseiter, was ihn der erfolgreiche Owen spüren lässt. Schließlich verlässt Rueben verletzt das Spiel, woraufhin sich der Erzähler nach einigem Überlegen gegen seinen beliebten Freund Owen stellt.
Veronicas Ex-Freund Jeff ist die Hauptperson in American Pie: Nachdem er von einer Europareise zurückgekehrt ist, erzählt er dem Wirt seiner Stammkneipe von seinen Erlebnissen und macht sich Gedanken um seine Zukunft.
Der Dichter ist der Urheber der gesammelten Haikus des Romans. Er beschreibt seine Tätigkeit und sein Vorgehen, bleibt dabei jedoch anonym. 

Autowäsche:
Schwarz staut die Hitze. Niemals würde ich ein schwarzes Auto kaufen, nicht einmal einen Audi. Steht ein schwarzes Auto in der Sonne, saugt es Wärme auf wie ein Schwamm das Wasser. Der Innenraum wird zum Backofen, das Armaturenbrett zum Heizkörper. Das Lenkrad wird so heiß, dass man es nicht mehr anfassen kann. Dein Gesicht fühlt sich an, als würde es schmelzen, wie auf einem Gemälde von Salvador Dali.
Und außen bringen Karosserie und Lackierung alles in der Umgebung zum Flimmern. Wenn du dich darüber beugst, um das Dach in der Mitte zu reinigen, versengst du dir den Brustkorb, während der Schaum zischt, sich auflöst und verdampft.                                
Mein Vater hat immer behauptet, Leichenwagen seien schwarz, damit sich der Tote schon mal an die Hitze gewöhnen könne. „Denn dort enden wir eh alle“, hat er gesagt und dabei nach unten gedeutet, auch wenn ich wusste, dass er selbst nicht daran glaubte. Weder daran noch an den anderen Ort.   
(S. 186)

Toyota des Teufels:
„Andy, was gibt es noch zu reden?“, frage ich. „Wir waren eine Weile zusammen, dann haben wir uns getrennt. Das ist alles. Wir leben jetzt vier Stunden voneinander entfernt.“                  
„Es sind sogar fünf Stunden. Und?“                                      
„Es ist nicht die Entfernung“, erwidere ich. „Na ja, am Anfang teilweise schon, aber inzwischen kennen wir uns ja gar nicht mehr.“
„Das ist egal. Wir können uns doch wieder kennenlernen.“ Er klopft auf den Beifahrersitz. „Steig ein.“ „Ich steige nicht ein!“
„Warum nicht? Ich werde dich nicht entführen! Was glaubst du denn? Dass ich dich in den Kofferraum sperre und mit dir in den Wald fahre… tut mir leid“, murmelt er und ich bin mir ziemlich sicher, dass ihm kurz die Farbe aus dem Gesicht gelaufen ist, bevor es knallrot anlief. „Das habe ich nicht so gemeint.“
(S. 154)

Verstehen durch Erzählen
Die Geschichten in City bilden ein Mosaik an beispielhaften Einblicken in die Welt von heutigen Jugendlichen. Dabei wird keine Szene länger als nötig betrachtet, um die Situation und Konstellation der Figuren zu erfassen. Die meisten Geschichten spielen sich innerhalb weniger Stunden ab, kaum stellt sich das Gefühl ein, langsam einen besseren Überblick zu bekommen, beginnt die nächste Erzählung. Viele Informationen werden außerdem durch verschiedene Eingriffe zurückgehalten. Beispielsweise finden über Veronicas Vergewaltigung nur unvollständige Andeutungen im Gespräch mit ihrem Ex-Freund, da das Thema beiden geläufig ist. Eine Rückblende findet nicht statt. Doch auch wenn die Vergangenheit von den Jugendlichen geschildert wird, passiert dies oft so unvollständig, dass es auch wenig Aufklärung bringt, wie bei den Hintergründen zu Ruebens verarmter Familie. Interessant ist hierbei die Wahl der Perspektive: Im Gegensatz zur klassischen Tradition wird nicht ausschließlich die Variante des Ich-Erzählers verwendet, sondern auch in der personalen Perspektive erzählt. Dem klassischen Muster widersprechend ist außerdem die Wahl der Hauptfiguren: Hier kommen nicht nur junge Männer zu Wort, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist im Gegenteil recht ausgewogen. Diese Vielfalt ist auch in Form und Tonalität der Erzählungen sichtbar: Von der naturalistischen Beobachtung einer rasanten Verfolgungsjagd bis zum melancholischen Rückblick auf den Tod des Vaters ist jede Ausarbeitung vorhanden.

Verbindend für die einzelnen Kapitel ist einzig eine bestimmte Art der Stimmung. Bei der Betrachtung der Alltagsbeschreibungen werden immer wieder tiefer liegende Probleme, die von Ereignissen in der Vergangenheit herrühren, offensichtlich. Selten werden diese jedoch offen ausgesprochen, sie lauern nur stets unheilbringend im Hintergrund, wie die Krankheit der Mutter, die den Hintergrund zur Drogengeschichte ihres Sohnes bildet. Es obliegt dem Leser, diese zu erahnen und eine Sensibilität für bestimmte Andeutungen zu entwickeln. Die mentale Ausgangslage der ProtagonistInnen ist also schwer einzuschätzen, denn besonders im Gegensatz zur übergenauen Beschreibung der Ereignisse im Hier und Jetzt wirken diese Ungewissheiten besonders unklar. Ihr Einfluss auf die Gegenwart ist jedoch nicht zu übersehen. Dabei kann einerseits durch die Kürze der Geschichten, andererseits durch unvollständige Informationsvermittlung der Erzähler die Selbstwahrnehmung nur teilweise analysiert werden. Ein typisches Gefühl der Abgrenzung von der Welt scheint jedoch nicht vorhanden zu sein, viel eher suchen die Figuren nach einer richtigen Position in der vorhandenen Gesellschaft, ohne jedoch verstärkt rebellieren zu wollen. Eine Entwicklung ist nur durch den Vergleich zur Vergangenheit zu entdecken: Im Umgang mit traumatischen vergangenen Erlebnissen zeigen die Jugendlichen oft ein erstaunliches Maß an Fassung. Und auch im Ausblick auf die Zukunft wird häufig eine positive Perspektive eingenommen, viele Handlungen lassen sich als Steigerung des erreichten Verstehensniveaus lesen.

Der Ich-Erzähler in seiner Welt
Die Jugendlichen in City, die sich zwischen den letzten Jahren der Highschool, College und ersten Arbeitsschritten befinden, zeichnen sich nicht vorwiegend durch eine Normabgrenzung gegenüber den Erwachsenen aus. Viel eher scheinen sie auf ihre eigene Art nach Problemlösungen in der existierenden Welt zu suchen und sich in diese einfinden zu wollen. Dabei bewegen sie sich jedoch immer noch in einem für sie eigenem Milieu, eine vollständige Anpassung in die Erwachsenenwelt findet nicht statt. Auch wenn Erwachsene teilweise als negative Schablone dienen (wie Jonathons Anwaltsvater), sind doch auch positive Beziehungen sichtbar: Bemerkenswert oft werden die Mütter als Bezugsperson herausgestellt. Eine spezielle Verweigerungshaltung ist nicht zu bemerken, Solidaritätsbemühungen unter den Jugendlichen sind dagegen an der Tagesordnung: Die meisten Figuren sind in einem Alter, häufig werden erwachsene Personen gar nicht in die Handlung mit einbezogen. Die eigene Individualität wird hier nicht in spezieller Abgrenzung gesucht, sondern in Bezug auf elementare Größen wie Liebe, Beruf und Selbstverwirklichung.

Als übergreifender alternativer Lebensentwurf lässt sich nur eine Verankerung in der Poesie feststellen: Durch die immer wiederkehrenden Haikus des Dichters, die viele der ProtagonistInnen berühren, und außerdem die schriftstellerische Ausrichtung einiger Figuren, lässt sich eine Zukunftsperspektive in dieser Richtung lesen. In den Gedichten werden auch endlich Gefühle artikuliert, die Jugendlichen fühlen sich seltsam verstanden durch Verse an der Wand oder selbst Verfasstes. So werden die Probleme im Hintergrund, die oftmals nicht offen ausgesprochen werden, thematisiert. Es findet dementsprechend eine Kompensation des Kommunikationsverhaltens statt, das die Jugendlichen als auf der Höhe von Alltagsproblemen agierend charakterisiert. Die Gedichte haben damit tröstende und handlungsverweisende Funktion.

Formale Aspekte
Das Cover der Originalausgabe des Romans zeigt die Großstadt, den Schauplatz der Geschehnisse. Im Vordergrund ist klein ein gesichtsloses Pärchen zu sehen. Damit wird ein wichtiger Aspekt des Lebens Heranwachsender thematisiert, ohne jedoch eine Personalisierung der Figuren zuzulassen: Es gibt viele beispielhafte ProtagonistInnen, die alle einzeln betrachtet werden, sich jedoch im Großen und Ganzen der Stadt verlieren. Bestätigt wird dieser Eindruck durch die Liste der Namen der Figuren, die sich über das Cover zieht und in der alle Namen gleichberechtigt nebeneinander stehen und keiner heraussticht. Die Aufteilung des Buchs in 22 Kapitel, deren Länge zwischen einer und 40 Seiten variiert, ermöglicht ein Lesen in Abschnitten. Die einzelnen Erzählungen können auch ohne die vorhergegangenen problemlos verstanden werden, wodurch auch längere Pausen beim Lesen nicht stören. Trotzdem ergibt sich bei durchgängiger Lektüre ein anderes Verständnis des Zusammenhangs der Geschehnisse. Die Schriftgröße ist angenehm.

Zusammenfassende Bewertung und Fazit
Ein reifer Versuch der Identitätsfindung in unserer heutigen Zeit, in der jeder vernetzt ist und praktisch alles möglich ist und in der trotzdem jeder vor seinen individuellen Problemen steht. In Abgrenzung zu traditionellen coming-of-age-Romanen findet außerdem eine erfreuliche Ausweitung auf beide Geschlechter statt.