Buchcover Almond, David: Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Nachdem Stans Eltern gestorben sind, wächst er bei seiner Tante Annie und seinem Onkel Ernie auf,...

Rezension von Thorsten Hadeler

Nachdem Stans Eltern gestorben sind, wächst er bei seiner Tante Annie und seinem Onkel Ernie auf, die sich sehr liebevoll um ihn kümmern. Als Ernie seine Arbeit verliert, gründet er im Haus der Familie eine kleine Fischkonservenfabrik. Doch die Fabrik wächst und wächst, Ernie wird immer fanatischer und bald muss Stan den ganzen Tag bei der Arbeit helfen statt in die Schule zu gehen. Da Stan seine Onkel liebt, macht er auch alles mit - bis zu dem Tag, an dem Ernie seine geliebten Goldfische in Dosen verpackt. Da läuft Stan von zu Hause fort...

BuchtitelDer Junge, der mit den Piranhas schwamm
AutorDavid Almond; mit Illustrationen von Oliver Jeffers (übersetzt von Alexandra Ernst)
GenreAbenteuer
Lesealter10+
Umfang246 Seiten
Edition1. Auflage 2014
VerlagRavensburger Verlag
ISBN978-3-473-36872-3
Preis14,99 Euro (D), 15,50 Euro (A)

Nachdem Stans Eltern gestorben sind, wächst er bei seiner Tante Annie und seinem Onkel Ernie auf, die sich sehr liebevoll um ihn kümmern. Als Ernie seine Arbeit verliert, gründet er im Haus der Familie eine kleine Fischkonservenfabrik. Doch die Fabrik wächst und wächst, Ernie wird immer fanatischer und bald muss Stan den ganzen Tag bei der Arbeit helfen statt in die Schule zu gehen. Da Stan seine Onkel liebt, macht er auch alles mit - bis zu dem Tag, an dem Ernie seine geliebten Goldfische in Dosen verpackt. Da läuft Stan von zu Hause fort und schließt sich auf dem Jahrmarkt dem Schausteller Mr Dostojewski und seiner Tochter an. Stan gefällt das bunte und ungeordnete Leben mit dem Jahrmarktsvolk sehr. Doch eines Tages bittet ihn der alternde Magier Pancho Pirelli sein Nachvolger zu werden. Aber Pirellis wichtigste Nummer besteht darin, in ein Bassin voller hungriger Piranhas zu springen und mit diesen zu tanzen. Stan spürt, dass ihn etwas mit den Raubfischen verbindet, aber wird er seine Angst überwinden können - und nicht von den Piranhas gefressen werden...?

In seinem Herzen ist Stan weder hager noch dürr. Er ist mutig und stark und bereit, etwas ganz Wunderbares zu tun. Er nimmt den Umhang ab. Er steigt die Leiter hoch. Die Fische schwimmen nach oben. Stan bleibt oben am Rand des Beckens stehen. Er setzt die Taucherbrille auf. Er hebt die Hand und winkt, und die Menge verstummt. Bis auf zwei angsterfüllte Stimmen.

„STAN! STAN! WAS UM ALLES IN DER WELT HAST DU VOR?“

Stan bleibt stehen und lauscht. Er nimmt die Taucherbrille ab und schaut in die Menge. Und er sieht Onkel und Tante. Sie winken ihm verzweifelt zu und versuchen sich einen Weg zu ihm zu bahnen. Sie rufen seinen Namen, wieder und wieder. Sein Herz quillt

über vor Freude.

„Tante Annie!“, ruft er. „Onkel Ernie!“

„Geh da nicht rein, mein Junge!“, schreit Annie.

„Komm da runter, Stan!“, schreit Ernie.

Stan lacht. Er setzt die Taucherbrille wieder auf.

„Keine Angst! “, ruft er. „Ich mache das für euch!“

„Wir wollen nicht, dass du es für uns machst!“, schreit Ernie.

Stan lacht wieder. „Schaut her!“, ruft er.

Er breitet die Arme aus. Dann Springt er, führt die Hände über dem Kopf zusammen, beschreibt mit dem Körper einen vollkommenen Bogen und taucht in das Piranha-Becken ein.

Viele Erwachsene neigen dazu, ihre Kindheit als eine Zeit ohne Sorgen zu verklären. Dabei wird oft vergessen, dass jede Kindheit auch von Ängsten geprägt ist, seien sie groß oder klein. Heranwachsen bedeutet daher auch, sich diesen Ängsten zu stellen und zu lernen, wie man sie überwindet.

Eltern und Erzieher sind in der Regel bemüht, den Kindern dabei Hilfestellung zu geben. Beichten die Kinder ihnen ihre Ängste, ist ein oft gegebener und gut gemeinter Rat, mutig zu sein und sich der Angst auslösenden Situation zu stellen. 

Auch viele Abenteuerbücher erzählen von diesen Situationen. Ein Held ist jemand, der sich nicht ins Bockshorn jagen lässt und vor einer Gefahr nicht davonläuft.

Der Schlüssel zu Lösung des Problems lautet also: mutig sein. Nur: Wie macht man das? Woher bezieht man diesen Mut, woraus entsteht er?

Auch Stan Potts, der "Junge, der mit den Piranhas schwamm", muss in einigen schwierigen Situationen sehr viel Mut aufbringen. 

Zunächst muss er sich nach dem Tod seiner Eltern gegenüber seinem Onkel behaupten, der von seiner Fischkonservenfabrik so begeistert ist, dass er eines Tages sogar Stans geliebte Goldfische in Dosen verpackt. Stan läuft daraufhin von zu Hause fort.


Er schließt sich auf dem Jahrmarkt Mr Dostojewski und seiner Tochter an und hilft ihnen bei der Arbeit an ihrem Entenangel-Stand. In dieser geheimnisvollen bunten Welt muss Stan zum Beispiel mit verärgerten Kunden fertig werden, ohne von ihnen verprügelt zu werden.

Und als ihn schließlich der betagte Magier Pancho Pirelli zu seinem Nachfolger auserwählt, muss er lernen, in ein Becken voll hungriger Piranhas zu springen und mit diesen im Wasser zu tanzen. 


Wie bringt nun Stan den Mut für alle diese Heldentaten auf? Es ist sicher nicht Schicksalsergebenheit, die Antwort der klassischen griechischen Autoren, und auch nicht die Einsicht in die Notwendigkeit, in die Sachzwänge, die heute häufig von Autoren bemüht wurde. Die Antwort, die David Almond auf die Frage gibt, warum es Stan gelingt, sich in all diesen gefährlichen Situationen zu behaupten, lautet: Weil er reinen Herzens ist. 

Nun ist das zunächst mal ein Konzept, das sich nicht unmittelbar erschließt. Was bedeutet es denn, reinen Herzens zu sein? Bedeutet es, sich vom Bösen fernzuhalten, oder ist damit eher emeint, liebevoll und damit liebenswürdig zu sein? Oder vielleicht offen zu sein für Anderes, für das, was außerhalb des eigenen Erfahrungsschatzes liegt? 


All dieses deutet David Almond in seiner Geschichte an, und noch einiges mehr. Eine Antwort erhalten wir von ihm allerdings nicht. Er überlässt es dem Leser, sich hierüber Gedanken zu machen und gibt ihm an der einen oder anderen Stelle mit den Andeutungen lediglich Starthilfe. Das ist nun ein Vorgehen, das in Büchern für Erwachsene durchaus üblich und auch berechtigt ist. In einem Kinderbuch ist man jedoch eher eindeutige Antworten gewohnt, und so kann es leicht geschehen, dass man den jungen Leser mit einer solchen Fragestellung überfordert. 


Das soll nicht heißen, dass David Almond mit "Der Junge, der mit den Piranhas schwamm" nicht ein hervorragendes und spannendes Buch gelungen sei. Allerdings wird es wohl besser sein, wenn manals Erwachsener den jungen Leser bei der Lektüre begleitet, ihm für Fragen zur Verfügung steht und mit ihm über die offenen Fragen spricht. Dann ist es ein Buch, aus dem sich sehr viel, vor allem für die Charakterbildung, gewinnen lässt.

Für Vielleseprogramme und Verfahren der Leseanimation geeignet; es wird empfohlen, die Lektüre durch einen Erwachsenen im Gespräch zu begleiten.