Buchcover Edward van de Vendel, Anoush Elman: Der Glücksfinder

Hamayun lebt mit seiner Familie in Afghanistan. Weil sein Vater "frei denkt", wird er von den...

Rezension von Thorsten Hadeler

Hamayun lebt mit seiner Familie in Afghanistan. Weil sein Vater "frei denkt", wird er von den Taliban verhaftet, und auch die übrigen Familienmitglieder sind ständigen Schikanen ausgesetzt. Als der Vater aus dem Gefängnis entlassen wird, entschließt sich die Familie zur Flucht nach Europa...

BuchtitelDer Glücksfinder
AutorEdward van de Vendel, Anoush Elman (übersetzt von Rolf Erdorf)
GenreAbenteuer
Lesealter14+
Umfang464 Seiten
Edition1. Auflage 2011
VerlagCarlsen Verlag, Hamburg
ISBN978-3-551-58215-7
Preis14,90 € (D), 15,40 € (A)

Hamayun lebt mit seiner Familie in Afghanistan. Weil sein Vater "frei denkt", wird er von den Taliban verhaftet, und auch die übrigen Familienmitglieder sind ständigen Schikanen ausgesetzt. Als der Vater aus dem Gefängnis entlassen wird, entschließt sich die Familie zur Flucht nach Europa. Ein halbes Jahr sind sie unterwegs, die meiste Zeit zu Fuß, immer in Angst und immer der Gnade der Menschenschlepper, der  sogenannten Knochenträger, ausgesetzt. Schließlich kommt die Familie in die Niederlande und versucht dort, als Flüchtlinge Aufenthaltsgenehmigungen zu erhalten. Ein jahrelanges Warten mit dem ständigen Auf und Ab von Asylanträgen, deren Ablehnung, erneuten Anträgen und so fort beginnt. Doch Hamayun gibt die Hoffnung nicht auf. Er ist fest entschlossen, sich in die holländische Gesellschaft zu integrieren und Afghanistan hinter sich zu lassen.

Welcher Jugendliche beschäftigt sich mit dem aktuellen Weltgeschehen - liest eine Zeitung, schaut die Fernsehnachrichten oder verschafft sich auch nur bei Spiegel Online einen Überblick? Die Lage in Afghanistan? Schlepperbanden? Asylbewerber hier bei uns? Vielen Jugendlichen dürften diese Themen fremd sein. "Der Glücksfinder" ist eine hervorragende Möglichkeit, die junge Generation in diese Themen einzuführen. Und dabei ist es kein trockenes Sachbuch, sondern ein sehr gelungener Abenteuerroman.

Dabei eine spannende, hervorragend erzählte und durchstrukturierte Geschichte lesen zu können, ist umso erstaunlicher, als sie nicht einfach der Fantasie eines begabten Autors entsprungen ist, sondern in großen Teilen die Erlebnisse des Co-Autors Anoush Elman autobiografisch wiedergibt. Ausdenken kann man sich ja viel, aber sich beim Lesen bewusst zu machen, dass vieles von dem, was hier erzählt wird, wirklich geschehen ist, hat als Leseerlebnis noch einmal eine eigene, bedrückende Qualität.

Politisch motivierte Festnahmen, nächtliche Hausdurchsuchungen durch bewaffnete Taliban, öffentliche Hinrichtungen vor den Augen von Schulkindern - würden die Autoren nicht die Erzählhaltung eines Kindes und später eines Jugendlichen einnehmen, könnte man ob solchen Lesestoffs in Angst geraten, wenn man weiß, dass sie in Afghanistan einmal tagtäglich der Realität entsprochen haben.

Auch die Schilderungen der Flucht der Familie nach Europa und erst recht das Leben als Asylsuchende in den Niederlanden erzeugen keine Erleichterung nach dem Motto "Endlich entkommen!", sondern enthalten wiederum große Erschwernisse, Belastungen und vor allem Ängste. Lange Jahre muss die Familie in Asylunterkünften leben, die Kinder dürfen nicht zur Schule gehen, die Eltern dürfen keiner geregelten Arbeit nachgehen, und immer wieder steht die Familie kurz davor, in ein Flugzeug gesetzt und ausgewiesen zu werden. Beeindruckend ist hierbei, wie Hamayun nie die Hoffnung verliert, wie er darum kämpft, ein relativ normales Leben führen zu dürfen und wie er jede Chance, die sich ihm bietet, sein Leben zu verbessern, ergreift. Völlig ohne Selbstmitleid erzählt uns Anoush Elman hier seine Geschichte und zeigt dem Leser mit großer Nachdrücklichkeit die Würde von Menschen, von denen wir Erwachsene gewohnt sind, eher ihr Elend als die Menschen selber zu sehen.

Man kann dieses Buch einfach als ein Abenteuerbuch lesen und wird eine sehr spannende Geschichte finden. Es ist aber weit mehr als das. Es ist ein Buch, das einem jugendlichen Leser die Augen öffnen kann, über den Missbrauch staatlicher Gewalt in vielen Ländern dieser Welt und über die Asylbewerber in unserer Nachbarschaft - von denen es zu lernen gibt, dass vielleicht nicht jedes unserer Vorurteile der Wahrheit entspricht.

Das hochaktuelle Thema des Buchs bietet in einer anspruchsvollen Darstellung zahlreiche Reflexions- und Diskussionsansätze; als Klassenlektüre mit fächerübergreifenden Ansätzen für Deutsch und gesellschaftswissenschaftliche Fächer erscheint der Roman sehr geeignet.