Buchcover Royce Buckingham: Die Karte der Welt

Der siebzehnjährige Wex lebt als Schweinhirt in einem kleinen Dorf, das im Schatten des Schleiers...

Rezension von Eva Maus

Der siebzehnjährige Wex lebt als Schweinhirt in einem kleinen Dorf, das im Schatten des Schleiers liegt. Dieser bedrohliche, dichte und ewige Nebel begrenzt das Reich Abrogan im Norden. Kein Mensch ist je aus ihm zurückgekehrt, so dass seine Herkunft und Beschaffenheit nicht bekannt sind. Als eine fürstliche Expedition die Grenzen des Reiches vermessen soll, wird Wex wegen seines Zeichentalents als Kartograph engagiert. Aufgeregt schließt er sich dem Trupp an, um einige Tage seinem unbefriedigenden Leben zu entfliehen...

BuchtitelDie Karte der Welt
AutorRoyce Buckingham (übersetzt von Michael Pfingstl)
GenreFantasy
Lesealter14+
Umfang606 Seiten
VerlagBlanvalet Taschenbuchverlag
ISBN978-3-442-26884-9
Preis15 €

Der siebzehnjährige Wex lebt als Schweinhirt in einem kleinen Dorf, das im Schatten des Schleiers liegt. Dieser bedrohliche, dichte und ewige Nebel begrenzt das Reich Abrogan im Norden. Kein Mensch ist je aus ihm zurückgekehrt, so dass seine Herkunft und Beschaffenheit nicht bekannt sind. Als eine fürstliche Expedition die Grenzen des Reiches vermessen soll, wird Wex wegen seines Zeichentalents als Kartograph engagiert. Aufgeregt schließt er sich dem Trupp an, um einige Tage seinem unbefriedigenden Leben zu entfliehen. Doch bald stellt sich heraus, dass seine Zeichnungen auf der uralten Karte des Fürsten den Schleier zurückdrängen und enthüllen, was über Jahrzehnte und Jahrhunderte unter ihm verborgen lag.

Gemeinsam mit der bunt zusammengewürfelten Gruppe aus Soldaten, Straftätern, einem Magier und der adligen Ausreißerin Brynn begibt sich Wex in das unbekannte Terrain. Dort begegnen sie blutrünstigen Wesen, freundlichen Völkern und großen Aufgaben, die viele Opfer fordern. Die Überlebenden versuchen nach Hause zu fliehen, stehen jedoch schließlich einem Feind gegenüber, der seine Gefühle im Schleier verloren hat und für seinen Rachefeldzug eine Armee aus furchtbaren und blutrünstigen Düsterlingen befehligt.

Wex erwachte, ausgestreckt auf der Karte liegend, als die Sonne gerade über die Hügel kroch. Er spürte einen Stiefel im Rücken, der ihn unsanft anstieß.
„Na, Jungchen. Gut geschlafen?“
Wex drehte sich hastig um.
Lothario stand grinsend über ihm, Fretter mit todernstem Gesicht daneben. „Du benutzt die Karte von Abrogan als Bettrolle? Von nun an bis zum Tag meines Dahinscheidens wirst du nie mehr Hand an sie legen, außer ich sage es ausdrücklich! Des weiter…“
„Genug“, unterbrach Lothario. „Es gibt eine neue Entwicklung, die weit wichtiger ist als dein jugendlicher Leichtsinn, Wexford.“
„Was denn?“ fragte Wex. Er war erleichtert zu hören, dass etwas die Tatsache, dass er ein enorm kostbares Stück des Palastinventars misshandelt hatte, in den Hintergrund treten ließ.
Wex konnte sich nicht erinnern, eingeschlafen zu sein. Er wusste nur noch, dass er wie besessen bis zur Erschöpfung gezeichnet hatte. Vielleicht hatte er sich zwischenzeitlich einen Moment zurückgelehnt, um sich kurz auszuruhen…
„Der Schleier hat sich zurückgezogen“, erwiderte Lothario.
Wex richtete sich auf und blickte sich um. Im ersten Moment begriff er nicht, was Lothario meinte. Dann sah er es: Der Berg, der noch am Tag zuvor von der alles verschlingenden Schwärze halb verdeckt gewesen war, ragte jetzt hoch in den Himmel auf und sein schneebedeckter Gipfel funkelte in der Morgensonne.
„Der Schleier ist weg?“
„Nein“, antwortete Lothario. „Er ist noch da. Aber jetzt verläuft er hinter diesem Berg hier. Der Teufel allein weiß, warum.“
„Ganz recht“, bellte Kraven, der von hinten herankam. „Etwas Finsteres ist hier am Werk, eine Magie, die selbst meine beeindruckenden Kräfte übersteigt!“
„Beruhige dich, Zauberer“, erwiderte Lothario. „Ich führe diese Expedition an, und ich sage, der Fürst hat nun ein Stück Land mehr, das er sei Eigen nennen kann. Gut möglich, dass er uns dafür belohnt. „ Er blickte Wex scharf an. „Wex, du wirst das neue Gebiet zeichnen.“
„Seht euch nur die Karte an“, ertönte eine aufgeregte Mädchenstimme. Es war Brynn. Ihr Blick sprang zwischen der Tierhaut und dem neuen Gipfel hin und her, dann deutete sie auf die obere rechte Ecke. „Das hat er bereits.“ (S.84f.)

Die Karte der Welt ist ein typischer Fantasy-Roman, dessen anfangs eher unscheinbarer Held in einer mittelalterlich anmutenden Welt während einer klassischen Heldenreise über sich hinauswächst. Aus seiner gewohnten und überschaubaren Heimat gerissen, muss der junge Schweinehirt zahlreiche Prüfungen bestehen, die mit regelmäßiger Brutalität über die Expeditionsmitglieder hereinbrechen. Wex sind dabei mehrere, zum Teil sehr interessante, Weggefährten zur Seite gestellt, von denen einige - wie der Dieb Pinch oder die Kleinwüchsige Cirilla - auch als Mentor fungieren und andere - wie der missgestaltete Arkh oder der prahlerische Magier Kraven - zunächst nicht leicht zu durchschauen sind. Dass die unterschiedlichen Gefährten angesichts der Gefahren zunehmend zu einer Gruppe zusammenwachsen und äußere Unterschiede, Abstammungsfragen und Standesdünkel vergessen, ist dabei genauso wenig überraschend wie Wex‘ Aufstieg vom belächelten Bauerntölpel zum gleichberechtigten Mitstreiter. Er übernimmt zeitweise sogar die Leitung der Gruppe, und um ihn werben die starrköpfige Adlige Brynn wie auch die freizügige, sprunghafte Adara.

Die fantastischen Wesen, die das Reich Abrogan bevölkern, unterscheiden sich teilweise kaum von typischen Wesen der Fantasy. So begegnen dem Leser Zwerge, ein Drache und gehörnte, dumme aber blutrünstigen Düsterlinge. Damit verspielt der Autor zum Teil Gestaltungsmöglichkeiten, die die interessante Grundidee des Buches durchaus hergeben würde. Andererseits finden sich auch überraschende Elemente wie die Gefahr angriffslustiger, fleischfressender Kühe und gelungene Details wie die Darstellungen der jeweils um Wex‘ Zeichnungen erweiterte „Karte der Welt“.

Bei allen Schilderungen fällt auf, dass nicht mit ekeligen und grausamen Details gespart wurde, so dass jüngeren Lesern angesichts der aufgeschlitzten Gedärme und zuckenden, verendenden Leichen von der Lektüre abzuraten ist. Das Cover und auch der Klappentext versprechen zudem eine epische Erzählung, die sich nur in Maßen finden lässt. Trotz der geschilderten Schwächen entfaltet das spannende Abenteuer um den sympathischen Wex einen Sog, den Fantasy-Fans und Leseratten nur zu gern nachgeben dürften.