Rezension von Nicola König
Du bist bereit, eine fremdartige, geheimnisvolle, nie vernommene Tonwelt zu betreten? Dich durch Töne navigieren zu lassen? Dann nimm zunächst einen letzten Schluck Glockenquellbier, bevor du dich gemeinsam mit Noé auf die abenteuerliche Reise begibst, das Geheimnis des Händlers der Töne zu lüften. Um Piraten und magische Wesen zu überlisten und die gefangenen Klänge der Menschen zu befreien, bedarf es allerdings Noés Gabe, Töne und so verschiedene Orte und Menschen aufzuspüren. Spannend, magisch und ungewöhnlich klingend!
Buchtitel | Der Händler der Töne |
Autor | Verena Petrasch |
Genre | Fantasy |
Lesealter | 12+ |
Umfang | 350 Seiten |
Verlag | Beltz & Gelberg |
ISBN | 978-3407758255 |
Preis | 16,95 € |
Held dieses Fantasyromans ist der zehnjährige Waisenjunge Noé, der alleine in dem Dorf Elnurbajram ein tristes Dasein führt. Als ein fahrender Händler in sein Dorf kommt und besondere Töne feilbietet – beispielsweise Faunflötenspiel als Badezusatz oder Gräserrascheln für die Tiere – wittert Noé die Chance, das Dorf und damit auch die harte Arbeit beim Wirt zu verlassen. Dank seiner Begabung, seltene Töne aufzuspüren, kann Noé sich dem unnahbaren Händler Per anschließen. Es beginnt eine Zeit voller Abenteuer und Reisen in fremde Welten für Noé, der ganz neue Stärken an sich entdeckt. Nur seine Freundin Minu, die er inseinem Ort zurücklassen musste, vermisst er sehr. Und auch Per bleibt abweisend, denn er trägt ein dunkles Geheimnis mit sich herum: Er kann zwar mit seinen Tönen Kranke heilen, jedoch nicht das eigene Leid. Jede Erinnerung an seine von den Piraten geraubte Tochter Sorah lässt ihn ein Stück mehr ersterben. Nun ist es an Noé und Minu, die er aus dem Dorf zu sich geholt hat, die Welt von den Piraten, die die Klänge der Menschen rauben, zu erlösen.
Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.
Das Buch übt einen ganz besonderen Reiz aus, der an Preußlers Roman Krabat erinnert: Fantasievoll werden die Leser*innen in eine fremde Welt der Töne entführt, die die Autorin zum Leben erweckt. Töne spielen eine Rolle, wenn Menschen einander begegnen, wenn Erinnerungen ins Spiel kommen, aber auch wenn Landschaften erkundet werden. Töne aber können auch geraubt werden und sind somit nicht nur positiv konnotiert. Ästhetik und Sinneswahrnehmungen stehen sehr präsent im Zentrum der Geschichte. Diese neue Perspektive auf die umgebende Welt ist eine besondere Stärke des Romans.
Auch die Protagonisten und die Geschichte sind überzeugend und spannend gestaltet: Noé verlässt die lieblose Umgebung seines Dorfes und erobert sich Stück für Stück eine neue Welt. Die Leser*innen können den Erzähler dabei begleiten, wie er gegen Piraten kämpft und zunehmend selbstbewusster wird. Zusammen mit Minu versuchen sie den Händler der Töne zu retten und begeben sich auf eine Abenteuerreise in verschiedene Welten. Dass das Buch nicht mit einem typischen Happy End endet, ist eine weitere Besonderheit des Romans.
Der Roman ist allerdings durchaus anspruchsvoll geschrieben; dies bezieht sich auf die genaue, präzise Sprache, mit der die unterschiedlichen Klänge beschrieben werden. Auch Semantik und Syntax erfordern aufmerksame Leser*innen. Da der Roman allerdings einen überzeugenden Spannungsbogen aufweist und die phantastische Welt stimmig konstruiert ist, zieht er seine Leser*innen schnell in den Bann.
Das Buch kann zur privaten Lektüre vor allen denjenigen empfohlen werden, die sich gerne in eine fremde, unbekannte Welt entführen lassen wollen; die Leser*innen sollten sich dabei nicht abschrecken lassen von genauen, sinnlichen Beschreibungen und Wortneuschöpfungen. Auch zum Vorlesen ist der Roman aufgrund seiner Poetizität gut geeignet, vor allem da sich beim Vorlesen die Möglichkeit bietet, einzelne Begriffe zu erklären.
„Der Händler der Töne“ eignet sich besonders für eine gemeinsame Klassenlektüre; das liegt zum einen daran, dass der Roman sowohl einen überzeugenden männlichen Helden wie eine starke weibliche Protagonistin aufweist. Animieren besonders die spannenden Passagen zu einer eigenen Lektüre, so kann gemeinsam mit der Klasse die Welt der Synästhesien erarbeitet werden: Wenn die Schüler*innen das Schema der Neologismen erkannt haben – „Badetonzusatz“, „Botentongabel“, „Klangkompass“, „Tongewimmel“ –, fällt ihnen nicht nur die Lektüre leichter; sie können auch selber produktiv tätig werden, indem sie eigene Parallelwelten sprachlich gestalten.