Buchcover Philip Waechter: Toni. Und alles nur wegen Renato Flash

Als Toni vor einer riesigen Plakatwand steht, auf dem der Fußballer Renato sein neustes...

Rezension von Christina Gürth

Genau die muss er haben – das weiß Toni sofort, als er das Werbeplakat für die original „Renato Flash“-Fußballschuhe sieht. Denn Fußballkarriere und Lebensglück hängen ab sofort davon ab, ob er sich die neuen Treter bald an die eigenen Füße schnüren kann. Weil aber seine Mutter die teuren Markenschuhe nicht finanzieren möchte, lässt Toni nichts unversucht, um auf eigene Faust das Geld für die neuen Sportschuhe aufzutreiben. Philip Waechters Toni-Comic verspricht jungen wie älteren Lesenden vergnügliche Unterhaltung, wenn sie an der Seite des überaus sympathischen Toni miterleben dürfen, wie dieser versucht, sich seinen größten Wunsch zu erfüllen.

BuchtitelToni. Und alles nur wegen Renato Flash
AutorPhilip Waechter
GenreComic & Graphic Novel
Lesealter8+
Umfang65
Edition1. Auflage
VerlagBeltz & Gelberg
ISBN978-3-407-75425-7
Preis14,95

Als Toni vor einer riesigen Plakatwand steht, auf dem der Fußballer Renato sein neustes Fußballschuhmodell anpreist, ist es um ihn geschehen. Er möchte diese Schuhe mit eingebauter Blinkfunktion unbedingt haben, denn sie verheißen, sein Fußballspiel künftig „unwiderstehlich“ zu machen. Aber leider kann Toni seine Mutter nicht davon überzeugen, diese besonderen neuen Schuhe zu kaufen; schließlich passen die alten noch. Auch seine Hoffnung, sich die Schuhe wenigstens zu Weihnachten wünschen zu können, wird schnell zerstört. Seine Mutter möchte in diesem Jahr auf Geschenke verzichten und das Geld lieber spenden.

Toni wird klar, dass er selbst aktiv werden muss, wenn er die Fußballschuhe wirklich besitzen will. Er trägt Flyer aus, macht mit seinem Freund Straßenmusik, betätigt sich als Hundesitter, organisiert einen Flohmarkt-Stand und versucht sich als Kindermodel. Doch der erhoffte Geldsegen bleibt aus. Obwohl Toni seine Jobs erledigt, bleibt ihm am Ende jeder Aktion doch immer nur ein klitzekleiner Betrag des verdienten Geldes übrig. Einmal gibt er das Geld für Pommes aus, die er seinen Freunden spendiert, weil sie ihm beim Flyer-Austragen geholfen haben. Ein anderes Mal muss er sein geliebtes Spielzeugauto auf dem Flohmarkt für einen Wucherpreis zurückkaufen, weil er merkt, dass er sich davon doch noch nicht trennen kann. Sogar als er 20 € auf der Straße findet, behält er diese nicht für sich, sondern kauft einem Mädchen, das seine Mütze verloren hat, kurzerhand eine neue.

Als Toni nach der Begegnung mit einem Bettler überlegt, ob er vielleicht mit Bettelei gut an Geld kommen könnte, wird seine Mutter richtig sauer. Mit der Notsituation der Menschen, die gar nichts haben, begründet sie ihre schon zu Beginn der Geschichte deutlich gemachte Ablehnung der „weihnachtlichen Schenkerei“, die sie als ungebührlichen Konsum empfindet. So erlebt Toni am Ende der Geschichte dann fast ein kleines Weihnachtswunder, als er die ersehnten „Renato Flash“ doch noch unter dem Weihnachtsbaum findet.

Eine Leseprobe kann auf der Verlagsseite eingesehen werden.

Schuften für den großen Traum.  – Im Zentrum von Philip Waechters amüsantem Comic steht der junge Protagonist Toni, der sich nichts sehnlicher wünscht als die gerade neu auf dem Markt erschienenen „Renato Flash“-Fußballschuhe. 

In einer typischen Eltern-Kind-Verhandlungssituation über Angemessenheit, Sinn oder Unsinn von Kinderwünschen argumentiert Toni zwar überaus gekonnt, erkennt aber schnell, dass er nicht auf die Unterstützung der Erwachsenen hoffen kann. Daher beschließt er, sein Schuh-Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Bei der Suche nach Möglichkeiten, das nötige Geld für die Schuhe zu verdienen, zeigt er viel Einfallsreichtum und vor allem Durchhaltevermögen.

Sechs zum Teil sehr lustige Episoden schildern Tonis verschiedene Bemühungen, an Geld zu kommen. Der Leser erlebt dabei wiederkehrend mit, wie der erhoffte Geldbetrag stets schon in greifbarer Nähe ist, aber Toni am Ende aus den unterschiedlichsten Gründen jeweils nur ein paar wenige Euros übrig bleiben; dabei mangelt es nie an Witz und Situationskomik. Auch für die jungen Leser ist erkennbar, dass nicht nur Pech das Geldverdienen verhindert, sondern dass Toni durchaus andere Dinge wichtiger sind (z.B. ein Fußballspiel mit Freunden, Hilfsbereitschaft oder ein altes Lieblingsspielzeug).

Es ist also nur ein vordergründiger Verlust, den Toni erleidet, vielmehr gewinnt er in jedem Geldverdien-Abenteuer etwas hinzu: viele neue Erfahrungen und sogar eine neue Freundin. 

Toni versucht stets, seine Probleme eigenständig zu lösen. Seine Mutter, die allein mit ihrem Sohn lebt, gewährt ihm den dafür nötigen Freiraum; so gelingt es Toni, die unterschiedlichsten Herausforderungen zu meistern und sich weiterzuentwickeln.

Dabei erleben die Lesenden alles aus Tonis Perspektive, was zur Identifikation mit dem nicht unfehlbaren, dafür aber umso liebenswerteren Protagonisten einlädt. 

Am Ende kauft Tonis Mutter ihrem Sohn die ersehnten Schuhe dann aber doch. Dadurch wird aber weder im Nachhinein Tonis trauriges Scheitern beim Geldverdienen betont noch die Tatsache positiv hervorgehoben, dass er sich so ausdauernd für seine Ziele eingesetzt hat; er bekommt die Schuhe zu Weihnachten geschenkt. Ob es die Erinnerung an weihnachtliche Traditionen oder andere Gründe sind, welche die Mutter dazu bewegen, ihrem Sohn die Schuhe zu schenken und somit von ihrem Ziel abzurücken, dem weihnachtlichen Konsumwahnsinn zu entsagen, ist für den kindlichen Leser wahrscheinlich zweitrangig. Entscheidend ist eher, dass der Text besonders gut an die kindliche Lebenswelt anknüpft, indem er auf einen typischen Eltern-Kind-Konflikt Bezug nimmt. So wird vielen Lesenden aus ihrem alltäglichen Leben die Situation vertraut sein, einen großen Wunsch zu haben, über dessen Zurückweisung oder Erfüllung immer wieder neu verhandelt werden muss.

Die Geschichte wird chronologisch aus der Perspektive des Ich-Erzählers Toni erzählt. Die Schriftgröße des ausschließlich in Großbuchstaben verfassten Textes ist angenehm lesbar und die sprachliche Komplexität der empfohlenen Altersgruppe angemessen. Auch wenn den jungen Lesenden die in Details versteckten Anspielungen in Wort und Bild nicht alle auffallen dürften, für das inhaltliche Verständnis des Textes sind sie entbehrlich und daher als Zugabe für den erwachsenen (Mit-)Leser eine Freude.

Als besonders leserfreundlich erweist sich der formale Aufbau des Comic. Text und Bild ergänzen sich sehr gut und der Seitenaufbau überzeugt durch eine übersichtliche Anordnung der Einzelbilder, Panels. Die Comic-Seiten umfassen selten mehr als sechs paarweise angeordnete Panels, die jeweils durch eine deutliche Rahmung voneinander abgegrenzt sind, was die Orientierung im Text auch für unerfahrene Comic-Leser erleichtert.

Der Großteil der Panels weist am oberen Rand Blocktexte auf, in denen Toni als Ich-Erzähler auftritt. Die zumeist durch Sprech- oder Gedankenblasen ergänzten Ausführungen der Ich-Erzählerstimme helfen den Lesenden, sich gut im Text zurechtzufinden. Sie  stellen eine Nähe zum Medium Bilderbuch her und bewirken, dass der Comic recht ‚vorlesefreundlich‘ ist. 

Die insgesamt 64 Seiten sind in neun Kapitel eingeteilt, von denen acht jeweils eigene Überschriftenseiten aufweisen, die sowohl verbal als auch mit einer kleinen Illustration explizit den folgenden Inhalt ankündigen. Die Einzelkapitel sind zudem in jeweils unterschiedlicher farblicher Grundierung gehalten, deren verbindendes und herausstechendes Element Tonis roter Pullover bzw. seine rote Jacke ist.   

Philip Waechters Toni-Comic überzeugt durch einen überaus sympathischen Helden, der nicht nur Jungs zur Identifikation einlädt. Durch seinen feinen Humor unterhält der Text Kinder und erwachsene Mitleser gleichermaßen, bietet durchaus Anlass für tiefergehende Reflexionen und hat darüber hinaus das Potenzial, junge Leser*innen an das Medium Comic heranzuführen. 

Neben der privaten Lektüre kann der Comic in offenen Leseförderformaten (z.B. in Lesekisten) eingesetzt werden und sollte in Grundschulbüchereien einen Platz finden.

Im Zusammenhang mit produktiven Verfahren eignet sich der Text (ggf. in Auszügen) sogar noch für die frühe Sekundarstufe, wenn es darum geht, junge Leser*innen an das Medium Comic heranzuführen. Über die Beschäftigung mit den konkreten Funktionen von Blocktext und Sprech- bzw. Gedankenblasen kann das gemeinsame Erzählen von Text und Bild genauer erabeitet werden. Darüber hinaus kann z.B. mit einer Veränderung der Erzählperspektive in den Blocktexten experimentiert werden. Durch seine serielle Anlage regt der Text außerdem dazu an, eigene Geldverdien-Abenteuer zu schreiben, die ggf. im Verbund mit dem Kunstunterricht zeichnerisch umgesetzt werden könnten.

Inhaltlich bietet der Toni-Comic zahlreiche Anknüpfungspunkte für weiterführende Gespräche. Dabei ist es eine Stärke des Textes, dass er ein altersübergreifendes Thema behandelt. Der (oft konfliktbeladene) Austausch zwischen Eltern und Kindern, in dem über die Angemessenheit kindlicher Wünsche verhandelt wird, knüpft direkt an die kindliche oder auch jugendliche Lebenswelt an und bietet damit Diskussionsstoff für unterschiedliche Altersgruppen.

So lässt sich der Text auch gut als Einstieg ins Themenfeld des Argumentierens nutzen. Dabei können die widersprüchlichen Auffassungen von Kindern und Erwachsenen im Hinblick auf den Konsum eines konkreten Gegenstands sowohl auf Markenkleidung als auch den generellen Umgang mit bestimmten Markenartikeln, die große Träume verheißen, ausgeweitet werden. Auch die Problematik von übemäßigem und somit höchst fragwürdigem Konsumverhalten, das im Comic mit der Weihnachts- und Armutsthematik verknüpft ist, bietet Potenzial für weiterführende Diskussionen.