Buchcover Peter Schwindt: Borderland

Erzählt wird die Geschichte des 16-Jährigen Vincent, dessen Vater vor zwei Jahren gestorben ist, was...

Rezension von Frank Münschke

„Borderland“ ist ein klassischer Coming-of-Age-Roman, der vor allem durch seine authentische Sprache und die differenziert gezeichneten Figuren überzeugt und dadurch so manches Klischee umschifft. Im Zentrum steht der introvertierte und intelligente 16-jährige Ich-Erzähler Vincent, der eine spannende innere Entwicklung mit vielen Schwellenmomenten durchläuft. Am Ende ist er gereift und hat einen anderen und positiveren Blick auf sich selbst und seine Umwelt.

BuchtitelBorderland
AutorPeter Schwindt
GenreComing of Age
Lesealter14+
Umfang272
Edition1. Auflage
VerlagSauerländer
ISBN978-3-7373-5132-4
Preis16,50
Erscheinungsjahr2018

Erzählt wird die Geschichte des 16-Jährigen Vincent, dessen Vater vor zwei Jahren gestorben ist, was sein Leben und das seiner Mutter komplett auf den Kopf gestellt hat: Sie sind von einem bürgerlichen Stadtteil in einen Sozialbau umgezogen und seine Mutter leidet unter einer ausgeprägten Depression. Direkt zu Beginn des Romans kommt sie nach einem Selbstmordversuch in eine Klinik.
Vincent ist auf sich selbst gestellt und auch der Beginn auf der neuen Schule verläuft eher suboptimal. Doch dann lernt er die mysteriöse Jane kennen. Zwischen den beiden entwickelt sich eine enge Freundschaft, auch wenn Vincent Jane nicht greifen kann und sie oftmals einfach so auftaucht und wieder verschwindet. Sie gibt ihm Kraft, nimmt ihm Entscheidungen ab und begleitet ihn durch den Alltag. Dadurch gewinnt er an Selbstvertrauen und lernt neue Freunde kennen. Gerade die Beziehung zu seiner hübschen Klassenkameradin Vida, in die Vincent anfangs verliebt ist, mündet in einer guten Freundschaft. Der Mittelpunkt seiner neuen Freundesgruppe ist der Club „Borderland“, in dem Vincent auch seine Unschuld verliert. Dort kann er seiner großen Musikleidenschaft nachkommen und wird gefragt, ob er sie als DJ unterstützt. Doch am Ende brennt der Club ab und kurz darauf erleidet Vincent einen Zusammenbruch. Das führt seine Freunde und ihn noch enger zusammen und vor allem Vincent und seine Mutter, die wieder Verantwortung für ihn übernehmen möchte.
Am Ende ist Vincent gereift und hat einen anderen Blick auf sein Leben und seine Umwelt. Jane verschwindet, als seine Mutter wieder mit ihm kommuniziert und sich Vincent gegenüber seiner Außenwelt öffnet.

Eine Leseprobe kann auf der Verlagsseite eingesehen werden.

Im Zentrum der Handlung steht der jugendliche Vincent, aus dessen Perspektive der Roman erzählt wird – das ist typisch für aktuelle Vertreter des Coming-of-Age-Genres. Vincent ist intelligent, empathisch und eher introvertiert, was mit dem plötzlichen Tod seines Vaters zu tun hat. Er verschließt sich gegenüber seiner Umwelt und möchte seinen Alltag zu Beginn des Romans so konfliktarm wie möglich gestaltet. Als Ventil für seine Emotionen nutzt er popkulturelle Medien, vor allem Musik, indem er regelmäßig auf Filme, Bands und Songtexte verweist (zudem trägt sein Musiklehrer den Namen Kilmister, eine Anspielung auf Lemmy Kilmister, den verstorbenen Sänger der Band Motörhead). Die Kenntnis dieser Verweise ist für die äußere Handlung unerheblich, für den jugendlichen Leser besteht allerdings die Möglichkeit, sich einzelne Songs, die im Roman erwähnt werden, via youtube und Co anzuhören, dadurch wird die Figur noch tiefer gezeichnet. Trotz dieser anfänglichen Abschottung bietet sich Vincent als Identifikationsfigur an, gerade da sein Weltschmerz immer wieder humorvoll gebrochen und dabei auf Pathos weitestgehend verzichtet wird. Vor allem ist er für den jugendlichen Leser aber eine interessante Figur, da er sich im Laufe der Geschichte entwickelt – dank seines neuen Umfelds: Er geht aus sich raus und öffnet sich gegenüber seiner Außenwelt. Die meisten der weiteren Figuren sind ebenfalls differenziert gezeichnet, gerade die seltsame Jane, die als Mentorin fungiert und die sich am Ende als Fiktion herausstellt – was relativ früh bereits angedeutet wird –, aber auch Vincents „reale“ Freunde.

In „Borderland“ werden klassische Themen der Adoleszenz verhandelt: Freundschaft, Liebe, Sexualität, Tod und – ebenfalls typisch für den Coming-of-Age-Roman – die Identitätsfindung des Protagonisten. Mit diesen adoleszenten Themen und der Selbstfindung geht die Trauerbewältigung Vincents einher, der am Ende wieder Teil einer sozialen Gruppe ist und durch die Erfahrungen, den Austausch und die Gespräche mit Jane und seinen „realen“ Freunden mehrere Schwellensituationen meistert: Er stellt sich der neuen Lebenssituation und sucht dadurch am Ende des Romans auch die Konfrontation und die Aussprache mit seiner Mutter, die er zuvor gemieden hat. So geht er hoffnungsvoller in die Zukunft.

Schwindt verwendet eine authentische und angenehme Jugendsprache. Das betrifft auch die Dialoge, die in vielen anderen Genre-Vertretern, die von erwachsenen Autorinnen und Autoren verfasst werden, oftmals konstruiert wirken. Der Leser ist Teil von Vincents Welt und erhält Zugang zu seinen Gedanken, Emotionen und Ansichten – und begleitet ihn in seiner Entwicklung.

Im Roman kommen immer wieder surreale Momente vor (gerade durch Jane; oder auch durch Dennis, von dem Vincent am ersten Schultag verprügelt wird und der später auf der Flucht ist, aber in verschiedenen Visionen Vincents immer wieder als bedrohliche Figur auftaucht), diese sind aber für einen durchschnittlichen 14-jährigen Leser gut erkennbar.

Das Cover spielt auf den mexikanischen „Tag der Toten“ („Día de los muertosan“) an, an welchem sich Jane und Vincent das erste Mal auf dem Friedhof begegnen. Es ist ein in unterschiedlichen Farben gestalteter Totenkopf zu sehen, der mit verschiedenen Blumen im Hintergrund kombiniert wird und sehr stark an die Bilder Benjamin Lacombes über Frida Kahlo erinnert. Für einen kulturfernen jugendlich-männlichen Leser könnte das weniger ein Blickfang sein, gestalterisch ist das Cover allerdings sehr gelungen.

Insgesamt handelt es sich bei „Borderland“ um einen überzeugenden Coming-of-Age-Roman, der sich in der Tradition der John-Green-Romane bewegt, dabei allerdings eigene Schwerpunkte setzt und gekonnt viele Genre-Klischees umschifft.

Der Roman lässt sich gerade im Kontext moderner Coming-of-Age-Klassiker wie „The Perks of Being a Wallflower“ oder der Romane von John Greene auch im Unterricht betrachten. Das gilt sowohl für das Erzählverhalten, Figurenzeichnungen als auch für adoleszente Themen, die verhandelt werden.

Zudem könnten die musikalischen Verweise anhand einzelner Songtexte näher betrachtet werden.