Buchcover Piers Torday: Aufstand der Tiere

Der 12jährige Kester lebt in einer Welt, in der die rote Pest fast alle Tiere ausgerottet hat. Durch...

Rezension von Eva Maus

Was passiert, wenn sich die Menschen gegen die Tiere stellen und nur ein Junge erkennt, dass ein lebenswertes Leben nur gemeinsam möglich ist? Piers Torday gelingt auch im zweiten, dystopischen Band um den 12-jährigen Kester die Balance zwischen spannender Unterhaltung, schlichter Poesie und intelligenter Gesellschaftskritik.

BuchtitelAufstand der Tiere
AutorPiers Torday; mit Illustrationen von Thomas Flintham (aus dem Englischen übersetzt von Petra Koob Pawis)
GenreAbenteuer
Lesealter12+
Umfang345 Seiten
Edition1
VerlagCbj
ISBN978-3-570-15897-5
Preis16,99 €

Der 12jährige Kester lebt in einer Welt, in der die rote Pest fast alle Tiere ausgerottet hat. Durch die Auswirkungen dieser Katastrophe hat sich auch die menschliche Gesellschaft verändert: Die große Firma Facto stellt die letzte verfügbare Nahrung für alle Menschen her und lässt die letzten Tiere jagen. Seitdem Kester im ersten Band der Geschichte zum Anführer einer kleinen Gruppe überlebender Tiere geworden ist, hat er schon viel erleben müssen. Mit seinem Wild ist er durch das Quarantäne-Gebiet bis zur Großstadt Premia gelangt und hat dort seinen Vater und ein Gegenmittel gegen die  Seuche gefunden.

Im zweiten Teil der Buchreihe muss Kester nun erneut Mut, Feingefühl und Scharfsinn beweisen, denn eine weitere Gruppe überlebender Tiere hat sich im Untergrund formiert und will sich an den Menschen rächen. Gleichzeitig ist der Chef der scheinbar allmächtigen Firma Facto hinter einer Geheimwaffe, der Iris, her, die Kesters Freundin Polly besitzt. Auch eine Gruppe von Kindern, die in einem Müllberg hausen, wollen die Iris stehlen, denn mit ihr, so heißt es, kann die Welt wieder werden, wie sie einmal war.

Nachdem Polly, Kesters Vater und fast alle Tiere seines Wildes entführt wurden, ruht erneut große Verantwortung auf den Schultern des 12-jährigen, denn er muss nicht nur sein Wild und seine Freunde befreien, sondern die ganze Menschheit vor dem Untergang bewahren – und dabei weiß er weder, wie er den Aufstand der Tiere verhindern soll, noch was die Iris für eine Geheimwaffe sein könnte.

Die Frau setzte ihren Eimer ab. „Wolf!“

Als würd das Wort von einem Luftzug erfasst und weitergetragen, breitet es sich rasend schnell aus – zu den Männern, die Sonnenbrillen verkaufen, zu den halbnackten Kindern, den Familien, die ihr Hab und Gut hinter sich durch den Staub schleifen.

Bis der langsam kriechende Strom von Herumtreibern zum Stehen kommt, sind schon hunderte Augen auf uns gerichtet. Hungrige Augen mit glasigem Blick. Wie eine Welle kurz bevor sie sich an Land bricht, werden in der Menge Arme ausgetreckt, Zeigefinger auf uns gerichtet, Waffen erhoben. Stöcke, Rohre, kaputte Regenschirme. Ich hatte ja keine Ahnung, wie gefährlich Schrott sein kann.

„Wolf! Wolf!“

Kleiner Wolf stellt die Nackenhaare auf und knurrt, aber er könnte es höchstens mit ein oder zwei von ihnen aufnehmen, bevor er im Sperrfeuer aus Stöcken und Rohren untergehen würde. Wir weichen immer weiter bis zum Müllberg zurück und drücken uns an ein schäbiges Sofa, dessen Federn aus dem Polster ragen.

Der General postiert sich auf meinem Kopf. „Ha! Soll das etwa eine Armee sein?“, höhnt er und blickt auf den zornigen Mob, der uns inwzischen so nahe gekommen ist, dass ich den Schweiß riechen und die Falten sehen kann, die der Hunger in die Züge der Menschen gegraben hat. „Meine Kakerlaken-Truppen würden diese Armee in alle Himmelsrichtungen auseinanderjagen.“

Aber seine Kakerklaken-Truppen sind nicht hier.

Ich stelle mich schützend vor den kleinen Wolf und breite die Arme aus. „Nein!“

Die Menge rückt noch näher heran, Sandalen schlurfen auf uns zu. Ein dünner Arm mit einem Metallstab holt zum Schlag aus, und während ich mich ducke, weicht Kleiner Wolf noch weiter zurück und presst sich in das Sofa. Wir stehen mit dem Rücken zum Müllberg und ich sehe keinen Ausweg für uns. (S. 82f.)

Wie kann Kester das Dunkle Wild, das im Untergrund auf Rache sinnt, davon überzeugen, dass nicht alle Menschen schlecht sind? Schließlich mussten die Tiere tatsächlich Furchtbares erdulden. Wie kann sich Kester dem Großkonzern Facto entgegenstellen, wenn dieser die einzige, noch verfügbare Nahrung herstellt und alle, die er liebt, in seiner Gewalt hat? 

Auch in Piers Tordays zweitem Band um Kester hat es der 12-jährige mit großen Fragen und noch größeren Aufgaben zu tun. Dazu ist er nur in der Lage, weil er starke Loyalität und Liebe zu den Tieren seine Wildes, seiner Familie und seinen Freunden empfindet und sich für sie verantwortlich fühlt. So gelingt es ihm, seine Ängste und Zweifel zu überwinden. Doch längst nicht alle seiner Entscheidungen sind eindeutig richtig (oder falsch) und um die Gefahren zu überstehen, braucht Kester nicht nur Mut und sehr gute Freunde, sondern auch Empathie und Feingefühl gegenüber Menschen wie Tieren. Da ist es hilfreich, dass Kester (fast) nicht spricht, dafür aber genau beobachtet und aufmerksam zuhört.

Obwohl Kester ein besonderer Junge ist, schafft es Piers Torday einen so unmittelbaren Bezug zu Kesters Gefühlen und Gedanken zu schaffen, dass junge Leser ihn ihm leicht eine Identifikationsfigur finden können. So erleben sie mit Kester ein zunehmendes Verständnis für die Bedürfnisse und Motive anderer und erleben hautnah mit, wie der Protagonist des Buches über sich hinauswächst. Zur Identifikation mit Kester trägt bei, dass der Roman im Präsens sowie aus der Sicht des jugendlichen Ich-Erzählers geschrieben ist. Entsprechend ist auch die Sprache relativ einfach und gleichzeitig durch ihre schlichte Ehrlichkeit zauberhaft poetisch. Begleitet wird dieser bewundernswerte Junge, der mit Tieren kommunizieren kann, aber keinem Heldenstereotyp entspricht, von Freunden, die ebenfalls einzigartig sind – zum Beispiel vom vorlauten, jungen Wolf, der langsam erwachsen wird, von der einsamen Ratte, die sich selbst für abstoßend hält, oder von der unerschrockenen Kakerlake namens General.

Wie in seinem Vorgänger-Band „Die große Wildnis“ thematisiert auch „Der Aufstand der Tiere“ aktuelle gesellschaftliche Themen. In Tordays dystopischer Welt werden die Macht der Großkonzerne, die Zerstörung der Flora und Fauna durch Profitgier und Egoismus, die zweifelhafte Rolle von meinungsmachenden Medien und andere Themen durch ihre Überspitzung aufgedeckt. Diese Themen werden aber nie explizit benannt und bleiben stets im Kontext der spannenden und actionreichen Handlung. Nicht allen Lesern wird daher diese zweite, gesellschaftskritische, teilweise allegorische Ebene bewusst sein. 

Das ist aber auch gar nicht zwingend notwendig, denn auch die naive Lesart lohnt sich. Das Buch hält die Spannung von Beginn bis zum Ende und bietet viel Action. Kester und seine Freunde stolpern von einer brenzligen Situation in die nächste. Sie müssen sich aufgebrachten Tieren und skrupellosen Menschen entgegenstellen. Die Geschichte wird dabei chronologisch erzählt und ist wenig komplex. Die fast 400 Seiten sind zudem lesefreundlich in acht Teile unterteilt, die wiederum in recht kurze Kapitel gegliedert sind und durch kleine, schattenrissartige Illustrationen flankiert werden. Daher ist das Buch gleichermaßen für anspruchvolle Leser geeignet, die Gedankenfutter brauchen, wie auch für solche, die ein aufregendes und fantasievolles Abenteuer verfolgen wollen.  Da dieses Abenteuer seine sympathischen Figuren in eine bedrückend-feindliche Welt in fast auswegsloser Endzeitstimmung führt, ist das Buch jedoch eventuell für sensible Jugendliche weniger geeignet.

Piers Torday gelingt mit „Aufstand der Tiere“ ein zweiter Teil, der in seinem schlichten Zauber und seiner Spannung dem ersten Teil in nichts nachsteht. Es ist ein ganz besonderes und lesenswertes Buch: actionreich, intelligent und äshtetisch.

Wie der erste Band Die grosse Wildnis beginnt auch Der Aufstand der Tiere zügig mit der Schilderung der fremden Welt aus Sicht des Protagonisten Kester und kann früh Neugier und damit Lesemotivation generieren. Die Kombination aus klassischem, spannendem und actionreichen Abenteuerroman und nachdenklichem  Anspruch eröffnet zahlreiche Möglichkeiten zur Beschäftigung mit der Lektüre. Für Vielleserverfahren im Rahmen der Leseanimation ist es in jedem Fall sehr geeignet. 

Trotz der recht kindlichen Aufmachung des Buches lohnt die Lektüre vermutlich besonders für Jugendliche ab 12 Jahre – für 10-jährige, die eher sensibel oder ängstlich sind könnte die bedrückende Stimmung des Buches überfordernd wirken.

Zudem ist die Kenntnis des ersten Bandes für das Verständnis des zweiten von großem Vorteil. Nach der Lektüre der beiden Bücher dürften die Leser dann auch auf die Fortsetzung gespannt sein.