Buchcover John Boyne: Der Junge im gestreiften Pyjama

Hinweis: Der Klappentext des Romans bietet bewusst keine Inhaltsangabe; die hier vorliegende...

Rezension von Lisa Holt

Das Buch handelt von dem neunjährigen deutschen Bruno und seiner Familie in der Zeit des Nationalsozialismus während des Zweiten Weltkriegs. Aufgrund der Tatsache, dass Brunos Vater der neue Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz wird, muss die ganze Familie – Bruno, seine drei Jahre ältere Schwester Gretel und seine Eltern – von ihrem Haus in Berlin nach Auschwitz ziehen. Im Laufe der Zeit freundet sich Bruno mit einem jüdischen Jungen, Shmuel, an. Dieser lebt auf der anderen Seite des Zauns – im Konzentrationslager – trägt einen gestreiften Pyjama und ist komplett anderen Lebensbedingungen als Bruno ausgesetzt...

BuchtitelDer Junge im gestreiften Pyjama
AutorJohn Boyne
GenreComing of Age
Lesealter14+
Umfang240 Seiten (engl.); 272 Seiten (dt.)
VerlagEmber (engl.); S. Fischer Verlag GmbH (dt.)
ISBN978-0385751537 (engl.); 978-3596852284 (dt.)
Preis7,70 € (engl.); 7,95 € (dt.) (beides Taschenbücher)

Hinweis: Der Klappentext des Romans bietet bewusst keine Inhaltsangabe; die hier vorliegende ignoriert daher die vom Autor intendierte Unvoreingenommenheit des Leseprozesses und nimmt das Ende des Romans vorweg!

Der fiktive Roman Der Junge im gestreiften Pyjama wurde von dem irischen Schriftsteller John Boyne verfasst und veröffentlicht.
Das Buch handelt von dem neunjährigen deutschen Bruno und seiner Familie in der Zeit des Nationalsozialismus während des Zweiten Weltkriegs. Aufgrund der Tatsache, dass Brunos Vater der neue Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz wird, muss die ganze Familie – Bruno, seine drei Jahre ältere Schwester Gretel und seine Eltern – von ihrem Haus in Berlin nach Auschwitz ziehen.

Im Laufe der Zeit freundet sich Bruno mit einem jüdischen Jungen, Shmuel, an. Dieser lebt auf der anderen Seite des Zauns – im Konzentrationslager – trägt einen gestreiften Pyjama und ist komplett anderen Lebensbedingungen als Bruno ausgesetzt. Ohne dass jemand anderes davon erfährt, besucht Bruno Shmuel jeden Tag für fast ein Jahr. Die beiden Jungen sitzen auf dem Boden und unterhalten sich – getrennt durch einen Zaun. Eines Tages kann Shmuel seinen Vater nicht finden und Bruno entschließt sich ihm bei der Suche zu helfen; Bruno hebt den Zaun an und betritt das Konzentrationslager. Unglücklicherweise findet genau an diesem Tag ein Appell statt, von welchem Bruno betroffen ist, und er wird mit anderen Gefangenen in die Gaskammer geführt und dort vergast.

‘Hey, you!’ he shouted, then adding a word that Bruno did not understand. ‘Come over here, you –’ He said the word again, and something about the harsh sound of it made Bruno look away and feel ashamed to be part of this all.

Pavel came towards them and Kotler spoke to him insolently, despite the fact that he was young enough to be his grandson. ‘Take this little man to the storage shed at the back of the main house. Lined up along a side wall are some old tyres. He will select one and you are to carry it wherever he asks you to, is that understood?’ Pavel held his cap before him in his hands and nodded, which made his head bow even lower than it already was. ‘Yes, sir,’ he said in a quiet voice, so quiet that he may not even have said it at all.

‘And afterwards, when you return to the kitchen, make sure you wash your Hands before touching any of the food, you filthy –’ Lieutenant Kotler repeated the word he had used twice already and he spat a little as he spoke. Bruno glanced across at Gretel, who had been staring adoringly at the sunlight bouncing off Lieutenant Kotler´s hair but now, like her brother, looked uncomfortable. Neither of them had ever really spoken to Pavel before but he was a very good waiter and they, according to Father, did not grow on trees.

(S. 75-76)

Der Ich-Erzähler in seiner Welt
Der Hauptcharakter des Romans ist der neunjährige Bruno und im Roman wird seine Wahrnehmung der Umwelt beschrieben – dies beinhaltet sowohl geschichtliche Ereignisse als auch Geschehnisse innerhalb des Konzentrationslagers. Aufgrund der typisch kindlichen Unwissenheit und Naivität kann Bruno diese Ereignisse allerdings oftmals in ihrer vollen Bedeutung nicht begreifen.

Durch sein Unverständnis der vorherrschenden Umstände rebelliert Bruno indirekt gegen Normen. Aufgrund Brunos rührender Naivität werden im Leser sowohl ein gewisser Beschützerinstinkt als auch das Bedürfnis, Bruno wachzurütteln, geweckt. Gleichzeitig wird dem Leser bewusst, wie einfach das Leben wäre, wenn die Gesellschaft nach den Werten und Normen von Kindern leben würde, für die Freundschaft und Liebe die einzig bedeutsamen Werte sind. Dem Leser wird vor Augen geführt, dass alle Menschen als Kinder Herzensgüte, Jovialität und Gutmütigkeit in sich tragen, sich diese Charaktereigenschaften jedoch allerdings in ein Denken bzw. Lebensentwürfe umwandeln, die Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus und so etwas schreckliches wie den Holocaust durchführen oder dulden. In der Darstellung dieser Kindheitseigenschaften wird Brunos alternativer Lebensentwurf formuliert: Warum existieren Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus? Warum muss so eine Art Denken entstehen, wenn die Unterschiede, mit denen argumentiert wird, doch anscheinend nicht so groß sind, als dass sich Freundschaften nicht entwickeln können? Warum Hass und Feindlichkeit, wenn nicht auch Friede und Freundschaft vorherrschen kann?

Diese Einstellung drückt sich auch in Brunos Kommunikations-Verhalten aus: Bruno macht keine Unterschiede zwischen Menschen; so lange er diese sympathisch findet, besteht für ihn kein Grund, einen Menschen verächtlich zu behandeln oder abfällig mit ihm zu sprechen.

Verstehen durch Erzählen
Die mentale Ausgangslage von Bruno ist die eines typischen neunjährigen Jungen. Die Beschreibung seiner Perspektive ist durch Wiederholungen, falsche Aussprachen sowie Unwissenheit über den Krieg oder andere Geschehnisse, die sich um ihn herum ereignen, geprägt. Bis zum Ende der Erzählung bleibt Bruno in seiner Naivität gefangen – was für ihn in diesem Falle leider drastische Konsequenzen hat. Die von Bruno gezeigte Unwissenheit und Naivität überzeugt den Leser allerdings nicht immer, da sich dieser schwer vorstellen kann, dass ein neunjähriges Kind, das im Zweiten Weltkrieg aufgewachsen ist, tatsächlich so ideologiefrei sein kann und nicht begreift, was um ihn herum passiert.

Buchcharakter
Sowohl das Cover der deutschen als auch der englischen Version ist in hell- und dunkelblauen Streifen gehalten. Genauso wie der Roman keine Inhaltsangabe bietet, soll auch die Gestaltung des Covers die Unvoreingenommenheit des Lesers garantieren – außer dem Titel erfährt der Leser keine Angaben über den Inhalt des Romans.

Eine große Schriftgröße sowie eine kurze Kapitellänge sind leserfreundlich, die Kapitelüberschriften geben eine Ahnung über den Inhalt des Kapitels (z.B. Kapitel sieben: „Mutter nimmt Verdienst für etwas in Anspruch, das sie nicht getan hat“). Aufgrund der Tatsache, dass aus der Perspektive eines Neunjährigen berichtet wird, ist die sprachliche Komplexität reduziert sowie eine Verständlichkeit der Sprache einfach. Der Knackpunkt in der Berichterstattung ist allerdings, dass aus Brunos Perspektive niemals Ereignisse tatsächlich beschrieben, sondern eher angedeutet oder umschrieben werden. Der Leser muss sich über diese Ereignisse folglich bewusst sein, um diese in den Andeutungen wiederzufinden. Auch wenn der sprachliche Stil ein eher einfacher ist, muss der Leser geschichtliches Wissen über den Kontext aufweisen, um den Roman tatsächlich in seiner Gänze schätzen zu können – dies ist wahrscheinlich ab der 7.Klasse der Fall.

Zusammenfassende Bewertung/Fazit:
Ziel des Romans ist es, den Leser so zu sensibilisieren und immunisieren, dass eine Wiederholung der im Roman beschriebenen Ereignisse ausbleibt.

Problematisch an der Darstellung im Roman ist allerdings, dass er die Gegebenheiten nicht korrekt darstellt: Das Leben im Konzentrationslager scheint gar nicht so schlecht zu sein, wenn sich ein Junge jeden Tag wegschleichen kann – ohne von jemandem dabei erwischt zu werden – um sich an einem Zaun, der nicht mit Starkstrom versehen ist, zu verabreden. Dieser Zaun lässt sich sogar an bestimmten Stellen anheben und ermöglicht ein Hineinkommen – bzw. dann ja auch ein Herauskommen. Genauso wenig wie die wie Vieh transportierten Neuankömmlinge, die nach Wasser schrien, auffallen, ist der Duft von über 4000 verbrannten Leichen pro Tag nicht bemerkbar. Mit Sicherheit handelt es sich bei The Boy in the Striped Pyjamas um ein Jugendbuch, allerdings ist die Beschönigung der Geschehnisse rund um das Konzentrationslager schon drastisch!

Für den Einsatz in der Schule ist meines Erachtens weiterhin problematisch, dass ein Verständnis der geschichtlichen Ereignisse von Nöten sein muss, um die angedeuteten Geschehnisse einordnen zu können. Ist dies bei 13-15jährigen der Fall, ist fragwürdig, inwiefern diese gerne einen Roman aus Sicht eines Neunjährigen lesen wollen und inwiefern sie sich mit den Problemen von Bruno identifizieren können. Es stellt sich die Frage, ob nicht ein gleichaltriger Romanheld zur Identifikation besser taugen würde.

Abschließend wirft sich mir das Problem auf, dass der Roman insgesamt für deutsche Schülerinnen und Schüler nicht authentisch wirken könnte. So scheint es für Deutsche merkwürdig, dass ein deutsches Kind das Wort „Führer“ nicht versteht und stattdessen das Wort „Furor“ hört. Im Englischen macht die Änderung vom englisch lautierten „Führer“ in „Fury“ Sinn, die Rückübersetzung mit deutschem Hintergrundwissen lässt dies allerdings unglaubwürdig erscheinen. Außerdem ist meiner Meinung nach fragwürdig, inwiefern es überhaupt von Nöten ist, Holocaustliteratur über eine deutsche Familie, geschrieben auf Englisch, im Englischliteraturunterricht zu verwenden oder ob nicht besser authentischere (deutsche) Werke im Deutschliteraturunterricht verwendet werden sollten und im Englischliteraturunterricht Werke, die sich mit der englischsprachigen Lebenswelt und der dortigen Geschichte oder Problematiken auseinandersetzen.

Nichtsdestotrotz ist es ein Roman, der zutiefst berührt und ein Gefühl des Schreckens über das Geschehene vermittelt – was zur Sensibilisierung über die Holocaustthematik einen sehr guten Beitrag leisten kann! Meines Erachtens ist dieses Werk allerdings nicht für 13-15Jährige geeignet, um diese gewünschten Effekte zu haben.

Einsatz für schulische Gruppenlektüre sowie Unterrichtsprojekte, wenn geschichtliches und kontextuelles Verständnis geklärt sein sollten.

Filmversion, Dir. Mark Herman, 2008.