Buchcover Oliver Scherz: Ben.

Oliver Scherz entwirft in seinem Buch „Ben.“ die abenteuerliche und phantasievolle Welt des...

Rezension von Viviane-Viola Haase

Oliver Scherz entwirft in seinem Buch „Ben.“ die abenteuerliche und phantasievolle Welt des gleichnamigen Helden des Kinderbuches. Ben steht kurz vor seinem Schulanfang und erlebt in seiner letzten freien Zeit aufregende Dinge zusammen mit seiner Schildkröte Herrn Sowa...

BuchtitelBen.
AutorOliver Scherz, Illustriert von Annette Swoboda
GenreFantastische Literatur
Umfang103 Seiten
VerlagThienemann
ISBN978-3-522-18360-4
Preis12,95 €
Erscheinungsjahr2013

Oliver Scherz entwirft in seinem Buch „Ben.“ die abenteuerliche und phantasievolle Welt des gleichnamigen Helden des Kinderbuches. Ben steht kurz vor seinem Schulanfang und erlebt in seiner letzten freien Zeit aufregende Dinge zusammen mit seiner Schildkröte Herrn Sowa. Die beiden sind ein unzertrennliches Team und Herr Sowa ist bei jeder Unternehmung mit dabei: Sei es bei der Fahrt mit dem zum U – Boot umfunktionierten Wäschekorb, bei dem heimlichen Besuch des Baumhauses des Bruders Alex, bei der ersten Übernachtung bei den Großeltern oder bei einem unfreiwilligen Bad im See. Ben kann einfach nicht ohne Herrn Sowa sein und möchte ihm nichts vorenthalten. Sie spielen zusammen mit Ina, dem Mädchen aus der Nachbarschaft, Indianer, wischen dem großen Bruder Alex einen Streich aus oder üben zusammen das Schnellsein auf dem Fluss. Bis zu dem Tag, an dem Herr Sowa eine Lungenentzündung bekommt. Die Tierärztin macht Ben klar, dass Herr Sowa eine Schildkröte ist, die sich unter anderen Bedingungen als er selbst wohl fühlt. Ben sieht dies schweren Herzens ein. Doch das heißt nicht, dass die Abenteuer vorbei sind. Denn im letzten Kapitel steht der erste Schultag an, mit dem für Ben und Ina eine neue spannende Reise beginnt.

Ich klettere mit ihm in den Wäschekorb. Der Wäschekorb ist unser U-Boot. Wir ziehen die Köpfe ein und den Deckel fest über uns zu. „Mach dich schwer, Herr Sowa“, sage ich. Und schon sinken wir.
Wenn man in einem U-Boot abtaucht, wird alles um einen herum immer dunkler. Weil der Sonne das Wasser zu kalt ist und sie lieber draußen bleibt. Mein Vater sagt, dass es nirgendwo  so dunkel ist wie unten im Meer. Nicht einmal in unserem Keller. Und das ist gut so. Niemand soll uns entdecken.
Wir kommen gerade rechtzeitig am Meeresboden an, da fliegt die Badezimmertür auf.
Für einen Moment ist alles still. Ein bisschen hoffe ich, dass es für immer so still bleibt. Aber dann gibt es doch noch den Schrei. Der dringt bis zu uns auf den Meeresboden.
„BEN?!“
Ben, das bin ich. (S. 17f.)

„Ben.“ ist kein klassisches Buch der phantastischen Kinderliteratur. Dies liegt daran, dass die zwei Welten bzw. die Ebenen des Phantastischen und der „Wirklichkeit“ nicht in der gesamten Handlung aufrecht gehalten werden und wenn nur durch die Phantasiereisen Bens, der z.B. durch das Indianer- oder U-Bootspielen in eine Art Parallelwelt entflieht. Dabei bleibt die reale Welt aber sehr dominant oder bildet in vielen Kapiteln den Mittelpunkt. Diese Tatsache ändert jedoch nichts an den vereinzelt beschriebenen Übergängen von Ben in eine andere Welt, die letztlich aber nicht mehr als seine eigene Phantasie ist. Der Erzählstil von Oliver Scherz versetzt den Leser durch die genaue Beschreibung von Bens Vorstellungen jedoch in eine neue Welt, sodass eine Art Übergang in eine Parallelwelt durchaus vorhanden ist. Diese ist diese in einen realen Handlungszusammenhang eingebettet, der aber gerade durch seine Authentizität einen Bezug zur Lebenswelt der jungen Leser herstellen kann. D.h., dass die Abenteuer, die Ben erlebt, Unternehmungen oder Situationen sind, die Kinder in seinem Alter ebenfalls erleben. So können sie Verbindungen herstellen bzw. sich entweder mit der Figur identifizieren oder aber von ihr distanzieren. Der Reiz des Außergewöhnlichen der Parallelwelt bleibt dabei zwar sehr gering, wodurch aber nicht das Potenzial verschenkt wird, Empathie für den Protagonisten zu empfinden oder sich von ihm abzugrenzen. Somit arbeitet Oliver Scherz nicht mit phantastischen Wesen wie z.B. Hexen oder Zauberern, sondern mit Ben als einem kreativen und offenen Jungen, der das Talent hat, sich in andere Welten oder Rollen hineinzuversetzen. Durch den Verzicht auf besondere phantastische Wesen wird die Möglichkeit des Eskapismus jedoch verringert, da sich die erschaffene Parallelwelt nicht so stark von der realen bzw. der Phantasiewelt der Leser abhebt. Dennoch besteht aber die Möglichkeit Entspannung in den Abenteuern von Ben zu finden, da sie zum einen eine neue Perspektive zum eigenen Alltag aufzeigen und zum anderen einige humorvolle Momente bieten. 

Sowohl im Verlauf der einzelnen Geschichten als auch im Gesamtverlauf der Handlung erfährt die Figur des Bens eine persönliche Entwicklung. Er lernt aus kleinen Streichen, wie z.B. dem Überlaufen der Badewanne aber auch durch größere „Schicksalsschläge“ wie dem Erkranken seiner Schildkröte, der ersten Übernachtung alleine bei den Großeltern oder der Situation allein zu sein, wenn seine Eltern am Abend wegfahren. Eine der schönsten und wichtigsten Entwicklungen ist in der Geschichte „Mein Opa sieht auch im Dunklen“ zu beobachten, in der Ben sich in der Nacht allein und sehr weit weg von zuhause fühlt. Sein Opa erklärt ihm draußen in der Dunkelheit, dass man Dinge oder Menschen auch im Dunklen sehen kann, wenn man ganz genau hinsieht und regt dadurch nicht nur die Vorstellungskraft Bens an, sondern auch sein Vertrauen in Dinge und Personen, die in einem bestimmten Moment für einen persönlich nicht sichtbar und in der Nähe sind. Diese Erfahrung kann auch für die Entwicklung der Leser förderlich sein, weil sie zuversichtlich stimmt und Ängste des Alleinseins lösen kann. Eine weitere wichtige Entwicklung Bens ist das Eingeständnis nach der Erkrankung der Schildkröte, dass diese nicht in der Lage ist, all die Abenteuer mit ihm gemeinsam zu erleben, weil sie ein Tier ist, das nur unter anderen Umständen gesund leben kann. Auf diesem Weg wird den Lesern ein verantwortungsvoller Umgang mit Tieren vermittelt bzw. ein Blickwinkel eröffnet, der zum kritischen Denken über Tierhaltung anregen kann. Eine ebenfalls wichtige, aber weniger offensichtliche Entwicklung Bens besteht in der Vorfreude auf die Schulzeit bzw. die Motivation, das „Buchstabenbuch“ seines Bruders Alex' lesen zu können. Zu Beginn der Handlung traut er sich das Lesen nicht zu: „Lesen kann ich noch nicht. Ich kenne nur die Buchstaben aus meinem Namen. B, E, N, J, A, M. I, N. So viele Buchstaben wie im Buch werden niemals in meinen Kopf passen, glaube ich.“ (S. 24ff.). Im letzten Kapitel bezeichnet er seine Lehrerin als Zauberin, weil sie behauptet, dass er bald Lesen und Schreiben könne. Auf dieser Grundlage hält Ben es nicht mehr für unwahrscheinlich bald das „Buchstabenbuch“ seines Bruders zu lesen oder einen Brief an Herrn Sowa zu schreiben. Oliver Scherz fasst die Entwicklung Bens in der letzten Aussage Bens gelungen zusammen: „Ich glaube, die Welt ist über Nacht gewachsen!“ Diese sehr bildliche und in anderen Rezensionen als zu erwachsene kritisierte Aussage, trifft meiner Ansicht nach den Kern der Geschichte: Zwar hat sich Ben weiterentwickelt und ist ein Stück weit in seiner Person herangewachsen, bleibt zum Schluss aber dennoch ein phantasievoller Junge, der auf dem Schulhof mit Ina „Adler“ spielt und spielen kann.

Daher erachte ich das Buch insgesamt als ein gutes Vorlesebuch, welches die Phantasie und das Denken der Kinder anregen kann und nicht zuletzt, wenn auch sehr versteckt, zum Lesen motivieren kann.

Aufgrund der Tatsache, dass Ben seinen Bruder dafür bewundert ein „Buchstabenbuch“ lesen zu können und auf dieser Grundlage selbst eine Motivation dafür entwickelt, Lesen zu lernen, halte ich das Buch als Vorlesebuch dafür geeignet, Kinder für das Lesen zu motivieren. Dazu tragen nicht zuletzt die liebevollen Illustrationen bei, die die Handlung bildlich unterstützen und nicht zu viel des Inhaltes voraussagen oder  bewerten. Zur konkreten Leseförderung durch das selbstständige Lesen halte ich das Buch weniger geeignet, da die Geschichten sehr von der Betonung beim Vorlesen und den sich anschließenden literarischen Gesprächen leben.